Nach der Plastik-Pandemie: Blick in die zirkuläre Zukunft

Wir schreiben Januar 2050. In aller Welt sind die Gedenkfeierlichkeiten zum 30. Jahrestag des Ausbruchs der Corona-Pandemie in vollem Gange. In das Gedenken an die Opfer und die verheerenden ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie mischt sich die Freude über das seither Erreichte.

Die Menschheit hat nicht nur überlebt. Sie überträgt das dabei Gelernte zügig auf die Bewältigung anderer Krisen. Der Umbau der Wirtschaftssysteme und Gesellschaften schreitet voran und lässt sogar das Einhalten von Klimazielen wieder realistisch erscheinen. Beim Einsatz und Gebrauch von Kunststoffen lässt sich dieser Fortschritt gut beobachten.

Von Big Oil zu Big Bio

Die Kunststofferzeugung des Jahres 2050 setzt viel stärker als noch vor 30 Jahren vermutet auf erneuerbare Rohstoffe. Bioplastik ist für die Kunststofferzeugung das, was für die Energieerzeugung die Erneuerbaren sind: ein Industriestandard. Etwa die Hälfte der neu hergestellten Grundprodukte für Kunststoffwaren stammen aus Beiprodukten der ökologisch-nachhaltigen Landwirtschaft, wie zum Beispiel Maisstärke oder Zucker.

Grüne Gentechnik hilft dabei, die molekulare Struktur der landwirtschaftlichen Beiprodukte so zu gestalten, dass die Kunststoffgewinnung aus biologischem Rohstoff deutlich günstiger ist als es die Herstellung von Neuplastik aus Röhol im Jahre 2020 war. Aus weniger Rohstoff wird mehr Kunststoff. Und schon bei der Produktion werden auf molekularer Ebene Marker in den Kunststoff eingebracht, die später eine eindeutige Nachverfolgung des Gebrauchs- und Verwertungszyklus‘ ermöglichen.

Allerdings ist die Herstellung von solch biobasierter Neuware seit dem Jahr 2035 schon wieder rückläufig und macht nur noch etwa 20 Prozent der insgesamt eingesetzten Kunststoffmenge aus. Grund hierfür ist der weitgehende Einsatz von hochwertigen Rezyklaten aus chemischen, physikalischen und mechanischen Verfahren. Diese Rezyklate werden weltweit in hochentwickelten Wiederverwertungs- und Recycling-zentren gewonnen.

Bereits bei der Herstellung neuer, noch besserer Kunststoffe für den jeweiligen Anwendungsfall ist das „Design for Reuse“ beziehungsweise Design for Recycling“ eine der wichtigsten Optimierungskategorien der Kunststoffingenieure, da die Kosten für die Herstellung nicht kreislaufähiger Kunststoffe mit immens hohen Transaktionskosten verbunden sind.

Markenartikler & OEMs: Immer auf Öko2Bilanz bedacht

Zu dieser erfreulichen Entwicklung tragen maßgeblich die Markenartikler und Original Equipment Manufacturer (OEM) bei, indem sie kontinuierlich die Öko2Bilanz ihrer Produkte verbessern. Der international etablierte Begriff Öko2Bilanz steht für doppeltes „Öko“, nämlich ökonomisch und ökologisch.

Die Unternehmen nutzen dieses Steuerungsmodell nicht in erster Linie wegen der strengen politischen Regulierung. Diese war nur in den Anfangsjahren des großen Wandels in den 2020 bis 2030er-Jahren nötig. Vor allem bringt Ihnen eine positive Öko²Bilanz Marktvorteile. Die Aussöhnung vormals sich kritisch gegenüberstehender Lager zwischen von Ökonomie und Ökologie ist gelungen.

Endverbraucher wissen dies zu schätzen, aber im Zweifelsfall auch zu kontrollieren. Dabei hilft ihnen die digitale „Check your Producer“ App. Mit einem Klick kann die gesamte Herstellungs-, Liefer- und Verwertungs-Kette von Produkten eingesehen und bewertet werden.

Dieser Innovationsprozess hat auf der Ebene der Kunststoffverarbeiter voll eingeschlagen. Neue Maschinenparks machen die gemeinsame Verarbeitung von Rezyklaten und Biokunststoffen in neuen Produkten spielend einfach, da neben den verbesserten, bekannten Verarbeitungsverfahren auch neue Verfahren industrielle Skalierung erfahren haben: 3D-Druck, quantenmechanische De-Polymerisation, digitale Zwillinge…

Endverbraucher? Nein, temporäre Produktnutzer

Der Technologieschub hat auch das Verhalten von gewerblichen und privaten Endverbrauchern komplett verändert, die im Jahr 2050 im Übrigen nicht mehr „Endverbraucher“ genannt werden, sondern nur noch „Produktnutzer“. So wählen die Produktnutzer des Jahres 2050 beispielsweise im Einzelhandel Produkte und Verpackungsart aus. Ein 3D-Drucker ermöglicht vor Ort die Herstellung der geeigneten Mehrweg- oder Einwegverpackung.

Was auffällt: es gibt keine Pfandautomaten mehr. Das erklärt sich mit einem Blick auf die Recyclingwirtschaft. Die Recyclingunternehmen sind DIE Rohstofferzeuger. Die bei der Produktion ins Material eingebrachten Marker haben der Sortierung einen gewaltigen Schub verliehen. Dadurch sind sowohl die Qualität als auch die Menge der einsetzbaren Rezyklate immens gestiegen. In die Verbrennung wandert im Jahr 2050 nur noch ein Bruchteil aller gebrauchten Kunststoffprodukte.

An die Stelle des Pfandsystems sind so genannte Plastic Credits getreten. Dem Produktnutzer des Jahres 2050 werden mit jeder Entsorgung eines bestimmten Produktes Plastic Credits gutgeschrieben, die wie eine frei verfügbare Währung gehandelt werden. Die Konsumenten bezahlen nicht mehr für das Entsorgen, sondern bekommen Geld, weil sie der Industrie einen wertvollen Rohstoff zur Verfügung stellen.

Recycler: Die Rohstofferzeuger des 21. Jahrhunderts

Eine solche digitalisierte Abfall-Infrastruktur am „Point of Trash“ hat dazu geführt, dass Abfallerzeugung, Entsorgung und Recycling in die Rolle der einstigen Ölgiganten geschlüpft sind. Damit haben auch Müllexporte in andere Länder eine drastische Veränderung erfahren. Müll findet nun nicht mehr – wie noch im Jahr 2020 – immer den billigsten Weg, sondern den Weg der optimalen Verwertung im Sinne der Öko2Bilanz.

Vergleichbar mit den Erdölströmen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wird der Rohstoff Abfall nun in diejenige Verwertungsanlage gesteuert, die den höchsten Ertrag für den jeweiligen Kunststoff bedeutet.

Der globale Süden dient nicht mehr als Müllhalde der Welt. Der Technologiesprung in der Recyclingtechnik der 2030er und 2040er-Jahre, verbunden mit dem weitestgehenden Ausstieg aus der Erdölförderung, verwandelte diese Deponien in Rohstofflager. Aus Abfall wurde innerhalb von drei Jahrzehnten das neue Gold.

Aus Abfallhierachie wird
Verwertungszyklus: Produce, Reuse, Recycle… Repeat

Wo eine Wiederverwendung eines Produkts nicht mehr sinnvoll ist, tritt die Recyclingindustrie auf den Plan. Hochentwickeltes mechanisch-physikalisches Recycling hat sich aufgrund seines niedrigeren Energiebedarfs und dem vergleichsweise geringen Installationsaufwand als Maßnahme für Standardplastik und technische Kunststoffe etabliert. Zehn bis zwölf Kreis-laufführungen sind keine Seltenheit. In dieser Form ist Kunststoff in der Öko2Bilanz übrigens den Materialien Papier, Metall und Glas überlegen.

Nach dem mechanisch-physikalischen Recycling kommt dann, je nach Anwendungsfall, das chemische Recycling zum Tragen. Das gegenüber dem mechanischen Recycling energetisch aufwendigere chemische Recycling spielt vor allem im Bereich einzelner technischer sowie der Hochleistungskunststoffe eine bedeutende Rolle. Mechanisches und chemisches Recycling konkurrieren im Jahr 2050 nicht miteinander, sondern ergänzen sich sinnvoll.

Hingegen spielen die bioabbaubaren und kompostierbaren Kunststoffe im Jahr 2050 nach einem kurzen Hype keine Rolle mehr. Grund hierfür war, dass sie den Verbraucher dazu angehalten haben, Kunststoffe unsachgemäß in der Natur abzulagern und zu starke Kompromisse in der Nutzungsphase des Kunststoffes mit sich brachten. Kurzum: eine Brückenidee, entstanden aus der schier unkontrollierbaren Menge an Kunststoff, der noch im Jahr 2020 in die Umwelt gelangte.

Was war nochmal Abfall?

Die Corona-Jubiläumsfeiern 2050 steuern auf ihren Höhepunkt zu. Millionen feiern weltweit ausgelassen auf den Straßen und Plätzen. Berge von Abfall hinterlassen sie dabei nicht. Schließlich will keiner der Feiernden auf seine Plastic Credits verzichten, die automatisch auf das Konto gebucht werden, sobald ein benutztes Produkt in einer der mit Scannern ausgestatteten Wertstoffbehältern landet.

Abfall… den gibt es nicht mehr.

Autor: Christian Schiller / cirplus