„Vertrauen ist wertvoller als die Marge“
Er sammelt Verpackungs- und Designpreise in Serie, spricht bei internationalen Gipfeltreffen von Politik und Wirtschaft und eckt in seiner Branche nicht selten heftig an. Reinhard Schneider ist Vorsitzender der Geschäftsführung und Anteilseigner von Werner & Mertz, dem Unternehmen hinter den Marken Frosch, Erdal und Emsal. Er glaubt, dass der vollständige Einsatz von wiederverwertetem Kunststoff in Verpackungen vor allem eine Frage des unternehmerischen Willens ist. Wir trafen den streitbaren CEO am Stammsitz in Mainz.
Herr Schneider, mit Ihrer Marke Frosch gelten Sie als Vorreiter und Verpackungsrebell. Woran arbeiten Sie aktuell?
Was Flaschen angeht, sind wir bei 100 Prozent aus Rezyklat. Wir stellen gerade bei den Beuteln um. Die kamen später, weil wir dazu eine besondere Herausforderung lösen mussten. Standbeutel waren bisher so genannte Laminatbeutel. Sie bestanden aus einem Verbund, vieler miteinander verklebter Plastiksorten. Sie waren kaum zu recyceln, allein schon, weil die verwendeten Kunststoffe unterschiedliche Schmelzpunkte hatten. Jetzt haben wir einen vollständig recyclingfähigen Monobeutel.
Das war die letzte Lücke, die wir noch zu schließen hatten. Bei den anderen gängigen Kunststoffarten für Verpackungen, also PET, HDPE und PP waren wir schon vor einigen Jahren soweit – auch mit der weltweit ersten zu hundert Prozent mit recyceltem Altplastik gefertigten recycelten HDPE-Flasche, die eine Kosmetikzulassung hat.
Legen Sie mehr Wert auf die Recyclingfähigkeit ihrer Verpackungen oder auf den Einsatz von Rezyklaten in ihrer Verpackungsproduktion?
Das sind zwei Seite einer Medaille. Das eine macht wenig Sinn ohne das andere. Das vergessen leider viele Akteure im Markt.
Wie kam Ihr Unternehmen dazu, sich so intensiv und früh dem Thema Kreislauffähigkeit von Verpackungen zu widmen? Gab es einen bestimmten Auslöser?
Dieser Entscheidung liegen durchaus wirtschaftliche Überlegungen zu Grunde. Wir kamen irgendwann zu dem Schluss, dass wir als Mittelständler im Markt besonders gut bestehen können, wenn wir nicht allein über den Verkaufspreis kommen, sondern besonders vertrauenswürdige Produkte anbieten. Großkonzerne konzentrieren sich auf Skaleneffekte und versuchen dann möglichst günstig zu werden. Wenn Mittelständler dieses Wachstumsmodell nachahmen wollen, geht es meistens schief. Einfach, weil man für diese Art des Wachsens schon eine erhebliche Größe braucht.
Wir haben andere Stärken. Im mittelständischen Unternehmen sind wir nicht darauf angewiesen, unseren Betrieb nach den Kennzahlen der Aktienanalysten zu optimieren. Wenn wir das, was wir hier seit 20 Jahren für ein nachhaltigeres Wirtschaften unternehmen, den Börsenanalysten erklären müssten, wären wir als Management schon fünfmal abgesetzt worden. Ganz einfach, weil unsere Maßnahmen in den ersten vier, fünf Quartalen mehr kosten als sie finanziell einbringen.
Wir können es uns leisten, langfristiger zu denken. Die Belohnung ist, dass wir schon seit vielen Jahren mit großem Anstand „Most Trusted Brand“ sind.
Aber das Thema Nachhaltigkeit ist doch längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr…
Stimmt, das Thema „Purpose“ ist in der Wirtschaft schwer in Mode. Die Frage ist aber, wie glaubwürdig Nachhaltigkeit gelebt wird. Verbraucher sind heute viel leichter in der Lage, selbst zu beobachten, ob Versprechen von Unternehmen auch tatsächlich eingelöst werden. Die Halbwertszeit von Marketing-Luftblasen wird kürzer.
Wenn Ihre These zutrifft, dass nur ein Mittelständler wegen seiner weitgehenden Unabhängigkeit vom Shareholder-Value wirklich nachhaltig wirtschaften kann, dann ist das für die Kreislaufwirtschaft ja keine gute Nachricht.
Ich sage nicht, dass die großen Player niemals zu einer gelebten Nachhaltigkeit kommen können. Aber sie brauchen deutlich länger. Der Leidensdruck des Vertrauensverlustes in der Gesellschaft muss erst größer werden als der Leidensdruck im Gespräch mit den Börsenanalysten. Solange das nicht der Fall ist, bleibt vieles, was als Nachhaltigkeit bezeichnet wird, in Wahrheit reines Marketing.
Was missfällt Ihnen dabei konkret?
Mir missfällt, dass emotionale Reflexe bedient werden, ohne dabei eine wirkliche Problemlösung zu schaffen. Ich nenne das Symbolromantik. Wenn ich für viel Geld von einer NGO ein paar Kilo so genanntes Ocean Plastic kaufe und in einer limitierten Edition einige tausend Flaschen mit jeweils 20 Prozent dieses Materials herstelle – was habe ich damit geschafft? Ich habe bestenfalls wenigen Verbrauchen ein gutes Gefühl vermittelt. Das ist moderner Ablasshandel. Mit wirklicher Kreislaufwirtschaft hat das nichts zu tun.
Ist das nicht ein wenig zu polemisch formuliert?
Nein, denn wie sonst können Sie es sich erklären, dass wir zwar 160mal kleiner sind als unser größter Wettbewerber, wir aber gleichzeitig mit großem Abstand Weltrekordhalter beim Inverkehrbringen von zu hundert Prozent aus Rezyklat bestehenden Kunststoffverpackungen sind. Das lässt sich nur mit dem Unterschied zwischen Ankündigen und Umsetzen begründen.
Die Kernfrage lautet doch: Betreiben wir Nachhaltigkeit in Form einzelner Projekte oder ist es unsere Normalität?
Wie funktioniert das für Sie in der Praxis? Rezyklate in der von Ihnen benötigten Qualität sind viel teurer als Virgin-Ware. Sie müssen doch auch rechnen.
Vor Corona war das von uns eingesetzte Rezyklat im Einkauf ungefähr 20 Prozent teurer als Virgin-Material. Aktuell beträgt der Preisunterschied etwa 100 Prozent. Den daraus resultierenden deutlichen finanziellen Nachteil beim Materialeinkauf kompensieren wir betriebswirtschaftlich ausschließlich durch das Gewinnen von Marktanteilen. Wir akzeptieren also eine geringere Marge, wachsen damit aber stärker als unsere Wettbewerber.
Sie verzichten bewusst auf Umsatzrentabilität?
So ist es. Unsere Umsatzrendite je verkaufter Flasche liegt unter der des Wettbewerbs. Aber sie reicht immer noch aus, um unsere Investitionen und damit unser Wachstum zu finanzieren. Wir haben in den vergangenen beiden Jahren die größten Investitionen der Firmengeschichte in die Erweiterung unserer Produktionskapazitäten getätigt. Wir haben ein A-Rating bei den Banken, obwohl wir teurer einkaufen. Es geht, wenn man es will. Aber diese Strategie ist ein Marathon und kein Sprint.
Trotzdem kann es Ihnen nicht recht sein, dass Wiederverwertung viel teurer ist als lineares Wirtschaften.
Es ist unverständlich, dass es keine Bonus-Malus-Regelung zugunsten der Unternehmen gibt, die Wertstoffe im Kreislauf führen. Das deutsche Verpackungsgesetz sieht ja sogar vor, dass Inverkehrbringer von nicht recycelbaren Verpackungen eine höhere Lizenzgebühr an die Dualen Systeme zahlen sollen als jene, die gut wiederverwertbare Verpackungen verwenden. In der Praxis wird diese Regelung aber kaum angewandt, weil die zehn miteinander konkurrierenden Dualen Systeme befürchten müssen, Kunden zu verlieren, wenn sie für nicht recyclingfähige Verpackungen tatsächlich mehr Geld nehmen.
So entsteht ein Marktversagen, wenn die Politik nicht eingreift. Es ist unverständlich, dass die Politik beispielsweise die Markteinführung umweltfreundlicher Antriebe in der Automobilindustrie massiv subventioniert, aber zugleich beim Thema Plastikverpackungen fast gar nicht lenkt.
Eine Plastiksteuer von 800 Euro je Tonne Neuware ist doch auf EU-Ebene bereits beschlossen…
Ob und wie diese Steuer umgesetzt wird, liegt aber in der Verantwortung der Mitgliedstaaten. Und bei denen stehen jetzt schon wieder die Lobbyisten der Wirtschaftsverbände auf der Matte und bezeichnen die Plastiksteuer als Gift für Beschäftigung und Wohlstand. Das ist Unsinn.
Ich habe umgerechnet, um welchen Betrag die Umsetzung der Plastiksteuer die Herstellung einer handelsüblichen Kunststoff-Flasche verteuern würde. Es sind 1,6 Cent. Eigentlich noch viel zu wenig an Lenkungswirkung, weil es noch längst nicht ausreicht, um den Preisunterschied zwischen Rezyklaten und Virgin-Ware auszugleichen.
Wie lautet Ihr Vorschlag?
Man müsste die Plastiksteuer von den Verwendern von Neuware tatsächlich erheben, diese Einnahmen aber nicht in den allgemeinen Steuersäckel fließen lassen, sondern in einen zweckgebundenen Fonds einzahlen. Aus diesem Fonds könnte dann denjenigen, die Rezyklat verwenden, geholfen werden, ihre vorübergehend höheren Stückkosten zu kompensieren. Für die Rezyklatverwender wäre das ein fairer Ausgleich ihrer Kostennachteile beim Einkauf. Und für jene, die noch zur Virgin-Ware greifen, wäre es ein Anreiz, in die Rezyklatverwendung einzusteigen.
Neben dem höheren Preis beklagen viele Unternehmen auch eine nicht ausreichende Verfügbarkeit von Rezyklaten und eine nicht ausreichende Verlässlichkeit der Qualität.
Das ist eine Schutzbehauptung. Wir haben uns die Kosmetikzulassung für eine Flasche aus 100 Prozent rezykliertem HDPE einfach geholt. Hilfreich dafür ist eine enge Kooperation mit den Herstellern nach dem Prinzip der open innovation. In vielen Fällen rentiert sich für einen Hersteller die Entwicklung einer solchen geprüften und zugelassenen Verpackung nur, wenn wir darauf kein alleiniges Patent erheben, sondern ihm erlauben, die Lösung nach einer kurzen Phase der Exklusivität auch anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen.
Und was die verfügbare Menge angeht: Man muss wissen, dass in Deutschland zurzeit mehr recyclingfähiges Plastik verbrannt wird als jemals zuvor. Sekundärrohstoff wäre also ausreichend vorhanden. Natürlich gilt das nicht für jeden Kunststoff in gleicher, beliebiger Menge. Jetzt kann ich mich entweder dahinter verstecken, dass mein Recycler nicht exakt das liefern kann, was ich mir wünsche. Oder ich kann mich anpassen und eine Verpackung entwickeln, für die der passende Sekundärrohstoff lieferbar ist. Ich bin für Variante zwei.