Wie sich der Bedarf an Rezyklaten weltweit entwickelt

In den kommenden Jahren werden Verbrauch und Produktion von Kunststoff weltweit stark steigen. Welchen Anteil dieses Bedarfs werden wiederverwertete Kunststoffe haben? Gegenwärtig übersteigen Herstellung und Verbrauch von Neuware den Einsatz von recyceltem Material in Kunststoffprodukten noch sehr deutlich. Um die vielfältigen Gründe zu beleuchten, sprach die Polyproblem-Redaktion unter anderem mit Peter Börkey, dem Umweltdirektor der OECD.

Neuware vs. Rezyklat:
Es steht 90 zu 10

2018 wurden weltweit 390 Millionen Tonnen Plastik verarbeitet. Davon entfielen 360 Millionen Tonnen, also mehr als 90 Prozent, auf neu hergestellten Kunststoff, so genannte Virgin Ware. Nur bei 30 Millionen Tonnen der produzierten Gesamtmenge kamen verarbeitete Rezyklate zum Einsatz. Das entspricht einem Anteil von 7,6 Prozent.

Einem Recyclingprozess zugeführt wurden jedoch insgesamt 50 Millionen Tonnen oder 20 Prozent des im gleichen Zeitraum angefallenen Plastikmülls von 250 Millionen Tonnen. Die Differenz ergibt sich aus durchschnittlichen Prozessverlusten in Höhe von 40 Prozent.7

„Aufgrund der mangelnden Abfallwirtschaftsstrukturen im globalen Süden sind die Bestrebungen, hochwertiges Material zu sammeln und auch zu verwerten, bisher sehr gering. Jedoch muss man festhalten, dass wegen des sehr niedrigen Lohnniveaus in vielen Ländern der informelle Sektor bei der Abfallsammlung, -sortierung und -verwertung sehr aktiv ist. Leider lassen sich die Daten hierzu aber nur schwer erfassen: Es gibt keine Registrierung der informellen Abfallverwerter. Es könnte deshalb sein, dass manche Schwellenländer tatsächlich hohe Recyclingquoten haben, sie nur nicht offiziell erfasst werden.“

(Peter Börkey, Umweltdirektor, OECD)

Der absolute und prozentuale Anteil des Plastikabfalls, der dem Recyclingprozess zugeführt wird, unterscheidet sich global stark (s. Tabelle 1). Wenig überraschend zeigt sich, dass – gemessen an der Bevölkerungszahl – die Menge der anfallenden Kunststoffabfälle vor allem in den Ländern des globalen Nordens besonders groß ist. In den Ländern des globalen Südens, in denen nach wie vor häufig keine oder nur unzureichend entwickelte Abfallwirtschaftssysteme etabliert sind, verbrauchen die Menschen zwar weitaus weniger Kunststoff. Allerdings landet ein hoher Anteil davon auf illegalen Mülldeponien oder in der Umwelt.

Politik und Zivilgesellschaft machen Druck – allen voran in Europa


„Die meisten regulatorischen Maßnahmen für den Rezyklate-Markt werden im Kontext der Europäischen Union beziehungsweise von ihren Mitgliedsstaaten initiiert.“

(Peter Börkey, Umweltdirektor, OECD)

Bereits 2018 hat die Europäische Kommission eine Richtlinie zu Recyclingquoten für Verpackungsabfälle verabschiedet. Demnach müssen die Mitgliedstaaten bis 2025 mindestens 65 Prozent ihrer Verpackungsabfälle recyceln. Bis 2030 erhöht sich die Quote auf 70 Prozent.8 Ein Jahr später wurde eine weitere Richtlinie eingeführt, die den Mitgliedsstaaten bei der Herstellung von Getränkeflaschen (PET) einen 25-prozentigen Anteil von Rezyklaten bis 2025 und 30 Prozent bis 2030 vorschreibt.9

Darüber hinaus hat sich die EU-Kommission gemeinsam mit der von ihr initiierten Circular Plastics Alliance11 zum Ziel gesetzt, bis 2025 zehn Millionen Tonnen Rezyklate in Kunststoffprodukten oder -verpackungen einzusetzen.12

Mit dem neuen Verpackungsgesetz (VerpackG) von 2019 wurden die Recyclingquoten in Deutschland für Kunststoffverpackungen von bisher 36 Prozent auf 58,5 Prozent und bis zum Jahr 2022 auf 63 Prozent angehoben.13 Quoten für den Einsatz von Rezyklaten in Kunststoffprodukten sieht das Verpackungsgesetz jedoch nicht vor.

Erst Mitte des Jahres 2020 hatte sich der Bundesrat erneut gegen derartige Einsatzquoten ausgesprochen. Die Begründung: Der freie Warenverkehr in der EU solle nicht beeinträchtigt werden und es gebe ein unzureichendes Angebot an Rezyklaten, das den notwendigen Qualitätsanforderungen überhaupt gerecht würde14. In Frankreich greift das Abfallbekämpfungs- und Kreislaufgesetz aus diesem Jahr weiter: Bis 2025 ist eine Recyclingquote von 100 Prozent vorgesehen und bis 2040 sollen Einwegkunststoffverpackungen vom Markt verbannt sein.15

Einen wichtigen Anreiz zur Förderung des Einsatzes von Rezyklaten spielen auch die von der Ellen MacArthur Foundation initiierten Plastics Pacts. Sie verfolgen das Ziel, lokale Unternehmen, Regierungen und NGOs zusammenbringen, um auf eine funktionierende Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe hinzuarbeiten. Neben Frankreich haben bereits fünf weitere europäische Staaten (Großbritannien, Dänemark, Portugal, die Niederlande und Polen) nationale Plastic Pacts eingeführt. Hinzu kommen die USA, Chile und Südafrika. Je nach Land verpflichten sich die unterzeichnenden Akteure der Plastic Pacts zu einer Recyclingquote zwischen 33 und 70 Prozent und einem Rezyklat-Anteil in Verpackungen von 30 Prozent bis zum Jahr 2025.16 Aber auch Kanada – bisher ohne Plastic Pact – strebt ein Mindestziel von 50 Prozent Rezyklat in Kunststoffprodukten und -verpackungen bis 2030 an.17

Wirtschaft reagiert mit Selbstverpflichtungen

Die verheerenden Umweltkonsequenzen der globalen Plastikflut sind allgegenwärtig. Vor diesem Hintergrund hat sich der gesellschaftliche Druck auf die Konsumgüterindustrie in den letzten Jahren enorm verstärkt. Zunehmend reagieren Unternehmen deshalb mit Selbstverpflichtungen. Ein Großteil dieser Unternehmen zählt ebenfalls zu den Unterzeichnenden des New Plastics Economy Global Commitments und strebt – mit einigen Ausnahmen – einen Anteil von 25 Prozent recyceltem Kunststoff für Verpackungen bis 2025 an. Das ist auch die Zielvorgabe der Ellen MacArthur Foundation, Initiatorin der New Plastics Economy.

Studien zeigen jedoch, dass viele der unterzeichnenden Unternehmen noch weit davon entfernt sind, die selbstgesteckten Ziele zu erreichen: Der eingesetzte Rezyklat-Anteil bewegt sich meist noch im einstelligen Bereich.18 Besonders kritisch sind die unternehmerischen Selbstverpflichtungen auch vor dem Hintergrund ihres geografischen Fokus zu beurteilen. Zumeist gelten diese lediglich für den europäischen Markt. Im globalen Süden, wo für die Unternehmen ein zunehmend wachsender Absatzmarkt liegt, finden die Selbstverpflichtungen meist keine Anwendung.

Rezyklat-Angebot und -Nachfrage entwickeln sich nicht harmonisch

Angesichts der dargestellten regulatorischen Maßnahmen und Selbstverpflichtungen zur Erhöhung des Recyclingaufkommens und dem Einsatz von Rezyklaten in Kunststoffprodukten, ist davon auszugehen, dass das Angebot an zur Wiederverwertung aufbereitetem Kunststoff noch stärker anwachsen wird. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der Absatzmarkt für Sekundärkunststoffe diesem Wachstum überhaupt gerecht werden kann.

„Es zeigt sich, dass im globalen Norden, insbesondere in der Europäischen Union einiges unternommen wird, um die Nachfrage an Rezyklaten anzukurbeln. Insbesondere aber in den Schwellenländern wird vermehrt daran gearbeitet, Instrumente wie die Erweiterte Produzentenverantwortung (EPR) im Verpackungsbereich einzuführen. All das wird dazu führen, dass das Angebot an Rezyklaten weiter zunimmt.“

(Peter Börkey, Umweltdirektor, OECD)

Aktuell wird davon ausgegangen, dass der Markt für Post-Consumer-Rezyklate, also für Kunststoffe, die nach dem Gebrauch wiederverwertet werden, weltweit von 15,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 18,7 Milliarden im Jahr 2025 wachsen wird.19 Dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 5,7 Prozent. Aufgrund einer wachsenden Bevölkerung, steigenden Bruttoinlandsprodukten und steigenden Einkommen wird prognostiziert, dass sich vor allem die asiatisch-pazifische Region sowohl wert- als auch mengenmäßig führend auf dem Markt für Rezyklate bis 2025 etablieren wird.20 Vorausgesetzt, dass mechanisches und chemisches Recycling weiterhin zunehmen, besagen Prognosen, dass mengenmäßig bereits 2030 ein Drittel des Kunststoffbedarfs durch den Einsatz von Rezyklaten gedeckt werden könnte – bis 2050 sogar rund 60 Prozent.21

In Anbetracht der verschärften gesetzlichen Anforderungen der EU soll sich die Recyclingquote für Europa fast verdoppeln. Um dies zu verwirklichen, müsste die Produktionskapazität der Recyclingwirtschaft in der EU sich allerdings von derzeit fünf auf elf Millionen Tonnen jährlich mehr als verdoppeln.22

Auch der Druck seitens der Verbraucher könnte zunehmen und für eine gesteigerte Nachfrage nach Rezyklaten sorgen. Eine weltweit durchgeführte Umfrage belegt, dass bereits jeder zweite Verbraucher Waren aus recyceltem Kunststoff kaufen würde.23 Laut dem Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie e.V. (GKV) wird davon ausgegangen, dass die öffentliche Debatte über Kunststoffe in der Umwelt zu einer gesteigerten Nachfrage von 51 Prozent führen wird.24

„In den letzten 30 Jahren hat man sich eigentlich ausschließlich damit beschäftigt, den Rezyklate-Markt zu forcieren. Aber damit beschäftigt, wie hoch die Nachfrage ist, hat man sich nicht.“

(Peter Börkey, Umweltdirektor bei der OECD)

Umso erstaunlicher erscheint es, dass sich die tatsächliche Nachfrage nach Rezyklaten für die Herstellung neuer Kunststoffprodukte aus der Industrie tatsächlich eher zögerlich entwickelt. Für die 11 Millionen Tonnen Rezyklat, die bei Einhaltung der Quoten im europäischen Markt bis 2025 verarbeitet werden müssten, wurde der Recyclingwirtschaft bisher eine Abnahme von lediglich 6,4 Millionen Tonnen zugesichert.25 Zwar hat sich die Nachfrage europaweit bereits mehr als verdoppelt – von 2,8 Millionen Tonnen im Jahr 2015 im Vergleich zu heute. Trotzdem hemmen weiterhin zahlreiche Faktoren das Wachstum des Rezyklat-Absatzmarktes. Allen voran Preis und Qualität.