App-Entwicklung beim Kaffee mit den Abfallsammlern

 Die App KOLEKT von Circular Action für den An- und Verkauf von Kunststoffabfällen wurde nicht nur für, sondern gemeinsam mit Abfallsammlern entwickelt. Sie funktioniert auch offline und kommt so gut wie ohne Text aus.

Thierry Sanders, Geschäftsführer von Circular Action B.v., über KOLEKT

Was hat Sie dazu motiviert, die KOLEKT-App zu entwickeln?

Während meiner Zeit auf Bali wurde ich Zeuge des großen Müllproblems. Nicht nur viele Ausländer wie ich, sondern auch Schulen, Unternehmen, Hotels und Restaurants haben Probleme, ihre Abfälle richtig zu entsorgen. In Ländern wie Vietnam, Indonesien, Brasilien und vielen anderen kommen nur etwa vier Müllsammler auf 1.000 Einwohner. Mit ihren Motorrädern und Wägen sind sie ständig auf der Suche nach kostbaren Wertstoffen auf den Straßen. Viele von ihnen verschwenden dabei nicht selten viel Zeit und Benzin. Schlussendlich hat mich das indonesische Taxisystem dazu inspiriert, mich mit den Müllersammlern zusammenzusetzen, um etwas gegen dieses Problem zu unternehmen.

Wie ist die Entwicklung der App vonstattengegangen?

Tatsächlich bot ich einem Müllsammler und seinen Kollegen Kaffee und Zigaretten an, um ihn zu fragen, ob er Interesse hätte, mir bei der Entwicklung einer App für die Abfallsammlung, ähnlich wie der Taxi-App, zu helfen. Wir arbeiteten also fünf Tage lang zusammen an Entwürfen, und einen Monat später hatte ich eine erste Pilotversion der App entwickelt, mit der er absolut nicht zufrieden war und sich über diverse Mängel beschwerte.

Dieses Feedback stellte sich als sehr hilfreich heraus. Ein Beispiel: Die Smartphones der Abfallsammler funktionieren oft schlechter, weil zum Beispiel die Kameras eine geringere Bildauflösung haben. Außerdem ist der Bildschirm wegen der starken Sonneneinstrahlung nicht sehr gut zu erkennen, weshalb ein entsprechender Kontrast für die Buchstaben notwendig ist. Hinzukommt, dass viele Sammler nur über begrenzte Internet- Datenpakete verfügen, oder nur einfache Mobiltelefone haben oder sogar überhaupt kein Handy. All dies muss sorgfältig bedacht werden.

Die Grundvoraussetzung für KOLEKT war also, für Menschen nutzbar zu sein, die weder ein Telefon noch ein Bankkonto haben und oft offline arbeiten müssen. Es geht um den kleinsten gemeinsamen Nenner. Die App ist sehr einfach konzipiert, es werden keine Handbücher benötigt, es gibt nur sehr wenig Text, und sie funktioniert auf Arabisch, Portugiesisch, Vietnamesisch und Indonesisch.

Was genau ist das Konzept hinter der App?

Ein sehr wichtiger Punkt ist, dass Apps, insbesondere für die Müllsammlung, nur dann wirklich gut genutzt werden, wenn es einen finanziellen Mehrwert für die Nutzer gibt. Denn die Müllsammler wissen genau, was sie tun und brauchen keine technische Unterstützung für ihre Arbeit. Sie haben ihre eigenen Netzwerke und kennen die Händler und ihre Preise, an die sie den gesammelten Abfall verkaufen können.

Die Möglichkeit allerdings, Kaufpreise verschiedener Abnehmer zu vergleichen, macht eine App interessant und forciert den Preiswettbewerb. Außerdem sind da noch die multinationalen Konsumgüterunternehmen, die nachweisen müssen, dass sie eine bestimmte Kunststoffmenge sammeln und entsorgen lassen haben. Und wenn dann Unternehmen, wie in unserem Fall Tetrapak, daran interessiert sind, weniger wertvolle Materialien sammeln zu lassen, braucht es entsprechende Sammelanreize für diese geringwertigen Abfälle. Um eine solche Subvention zu gewähren, muss sichergestellt sein, dass eine große Anzahl von Menschen bezahlt werden kann, die weder über ein Bankkonto noch über ein Mobiltelefon verfügen. Hier kommt also KOLEKT ins Spiel.

KOLEKT kombiniert alle drei Bedarfe. Erstens: Marktplatz für den Wertstoffhandel, zweitens: Monitoring und Nachweis für Unternehmen über die endgültige Abfallentsorgung und drittens: Anreize für die Lieferkette durch Prämien oder Subventionen für Abfallsammler ohne Bankkonto schaffen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Mission von KOLEKT darin besteht, den Kauf und Verkauf von wiederverwertbaren Abfällen und die Bezahlung von Müllsammlern zu vereinfachen, um ihnen somit ein Einkommen über dem lokalen Mindestlohn zu ermöglichen.

Wie erfahren potenzielle Nutzer von der App?

Eigentlich ausschließlich über Mundpropaganda. Zunächst suchen wir nach einem Recycler, der die von uns gewünschten Wertstoffe verarbeiten kann. Dann schließen wir einen Vertrag mit ihm ab, und sobald wir den Vertrag haben, kennen wir den Ankaufspreis. Danach gehen wir eine Ebene tiefer zu den Materialkomprimierungsunternehmen, die eine Ballenpresse haben, um sicherzustellen, dass die Transportkosten niedrig bleiben.

Wir fragen also nach den Kosten fürs Pressen und für die Lieferung an den Recycler. Und da sie uns dort nicht trauen, rufen sie erst den Recycler an, um zu prüfen, ob das Angebot wirklich stimmt. Nach der Bestätigung durch den Recycler wird der Vertrag unterschrieben. Und dann gehen wir eine Ebene weiter zu den Sammelstellen und erklären dort, dass der Materialkomprimierer bei ihnen Abfälle kaufen würde und dass sie den Standort über die KOLEKT-App finden könnten. Wir zeigen ihnen also den Mindest- und Höchstpreis auf der App und die unterschriebenen Papiere. Und dann rufen sie den Materialkomprimierer an, um sich zu vergewissern, dass alles stimmt.

Zum Schluss erklären wir ausführlich die Funktionen der App. Und wenn dann ein Müllsammler bei der Sammelstelle ankommt, wird er dort per Gesichtserkennung oder per OT P/SMS auf seinem Mobiltelefon registriert oder gefragt, ob er KOLEKT auf sein Mobiltelefon herunterladen kann, um die Verkaufstransaktion abzuschließen.

Im Grunde genommen geht es darum, Zuverlässigkeit und Vertrauen zu schaffen, dass der Preis gezahlt wird, der auch im Vorhinein vereinbart wurde. Sobald aber jemand nicht mehr auftaucht oder sich die Preise ändern, fängt das Misstrauen an, und die ganze Kette fällt auseinander.

Wie registrieren sich die Müllsammler ohne Smartphone oder Mobiltelefon bei KOLEKT?

Die Müllsammler werden registriert, wenn sie zum Verkauf kommen. Sollten sie kein Telefon haben, genügt ihr Gesicht in Kombination mit ihrem Namen, um ein Konto in unserer App mit dem Telefon des Käufers zu erstellen. Der verkaufende Waste Picker wird also per Gesichtserkennung auf dem Telefon des Käufers bestätigt und erhält Bargeld für das verkaufte Material sowie Punkte zugeschrieben. Die angesammelten Punkte können dann über den Login des Waste Pickers in das Telefon des Käufers an einen Dritten übertragen werden, der den Wert der Punkte in Bargeld an ihn auszahlt.

Wie viele Personen nutzen die App bereits?

Die größte Nutzergruppe sind die Müllsammler. Was die Nutzeranzahl anbelangt, lässt sich eine Pyramidenstruktur erkennen: Am unteren Ende der Pyramide stehen die Müllsammler, dann die Sammelstellen oder Käufer, danach die Aggregatoren und schließlich die Recycler oder Exporteure. Momentan zählt KOLEKT etwa 2.000 Nutzer, was nicht sonderlich viel scheint. Doch mit KOLEKT wurden bereits etwa 15.000 Transaktionen in den letzten zwölf Monaten durchgeführt mit einem Volumen von ca. 1.500 Kilo pro Transaktion.

Welche Art von Daten wird durch die App gesammelt?

Und welchen Wert schreiben Sie den Daten zum Beispiel in Bezug auf die EPR-Berichterstattung zu? Der Wert der Daten liegt in den Transaktionen und Ankaufsanzeigen, aber auch in der Möglichkeit, Betrug zu erkennen und zu verhindern. Über die App sammeln wir Fotos, GPS-Daten, Ver- und Ankaufsbestätigungen, Preise, Gewicht, Materialangaben. Das sind auch die Daten, die die Wirtschaftsprüfer von Unternehmen sehen wollen und letztlich auch für die EPR-Berichterstattung am wichtigsten sind. Denn anhand der KOLEKT-Daten kann nachgewiesen werden, wie viele Tonnen Abfall an die Recycler geliefert wurden, wie die Recycler die Abfälle weiterverarbeitet haben und woher die Abfälle stammten.

Wie geht es weiter bei KOLEKT?

Ich denke, das Wichtigste ist, Konsumgüterherstellern zu verdeutlichen, dass die Sammlung von Verpackungsabfällen nur dann gesteigert werden kann, wenn sie händisch von den echten Experten, den Profis, was die Müllsammler sind, durchgeführt wird. Und die lassen sich nicht durch Abfallsammelfahrzeuge oder intelligente Mülltonnen ersetzen, sondern müssen fair bezahlt werden.

In Zukunft wollen wir auch Zertifikate, ähnlich zu Plastic Credits, als Sammel- und Recyclingnachweis für Konsumgüterunternehmen anbieten. Das würde bedeuten, dass Auditoren wie Control Union oder der TÜV unsere Systeme daraufhin überprüfen könnten, ob die Sammlung und das Recycling korrekt durchgeführt und ordnungsgemäß dokumentiert wurden. Kurz gesagt, unser Ziel ist es, uns zu einer Auditierungsplattform für Abfälle zu entwickeln.

Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Der Circularity Code

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