„Die Chance liegt im gemeinsamen Lernen“

Christoph Kugler ist Gruppenleiter Digitalisierung am Kunststoff-Zentrum SKZ in Würzburg. Der Werkstoffwissenschaftler arbeitet unter anderem an der Nutzung von Modellen auf der Basis maschinellen Lernens zur Anwendung in der Kunststoff-Verarbeitung.

Herr Kugler, wie kann künstliche Intelligenz in der Produktion zu mehr Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit von Kunststoff beitragen?

Da gibt es einige Ansätze. Nehmen wir als erstes Beispiel die Verwendung von Rezyklaten in der industriellen Massenproduktion: Die Materialqualität schwankt bei Rezyklaten teilweise stärker als bei Neuware. Das führt bisweilen zu Unregelmäßigkeiten im Produktionsprozess, was vielen Unternehmen den Rezyklateinsatz erschwert. Deshalb arbeitet man daran, den Prozess in der Maschine digital so zu überwachen, dass der Produktionsablauf eines Bauteils automatisch nachgesteuert wird, wenn bestimmte Parameter bezüglich der Qualität nicht erreicht werden. Dabei kann künstliche Intelligenz helfen.

Würde das im Idealfall helfen, den Rezyklatanteil in anspruchsvollen Kunststoffprodukten zu erhöhen?

Darin liegt das Potenzial. Wenn die KI dabei hilft, einen Produktionsprozess permanent zu optimieren, lässt sich dadurch auch der Einsatz von wiederverwerteten Materialien steigern.

Klingt gut. Worin liegt das Problem?

Künstliche Intelligenz muss lernen. Sie muss über einen langen Zeitraum mit Daten aus der Produktion trainiert werden. Aber kein Unternehmen experimentiert gerne auf seinen Produktionsanlagen – zumindest nicht über einen längeren Zeitraum. Die Maschinen sollen ja Geld verdienen.

Eine Idee zur Lösung dieses Problems besteht darin, Daten aus vielen Produktionsanlagen unterschiedlicher Kunststoff-Verarbeiter zum Training einer KI zu nutzen. Damit Produzent A keinen Einblick in die Daten des Produzenten B erhält, werden dazu spezielle Verfahren wie das föderierte Lernen eingesetzt. Hierdurch kann ein KI-Modell auf mehreren Anlagen trainiert werden, ohne dass Unternehmen ihre Daten transparent teilen müssen. Die Hamburger Firma Katulu hat sich auf diese Form des maschinellen Lernens spezialisiert. Mit ihr arbeiten wir derzeit an einigen Modellprojekten.

Jetzt haben wir über die Produktion gesprochen. Bietet KI auch Chancen im Design und in der Entwicklung nachhaltigerer Kunststoffprodukte?

Definitiv. Ich habe erst kürzlich das Unternehmen Digimind in Berlin kennengelernt, das KI einsetzt, um beim Verpackungsdesign das Gewicht zu reduzieren und damit Material einzusparen. Sie nehmen die CADDaten des Produkts und lassen diese von der künstlichen Intelligenz optimieren.

Aber auch das muss der Maschine doch erst einmal antrainiert werden …

Ganz genau. Das geht umso besser, je mehr Daten von Verpackungsprodukten bereitgestellt werden, um das Gesamtsystem lernen zu lassen. Und da sind wir wieder beim gemeinsamen Lernen. Das ist es, woran es in der Praxis oft scheitert. Es stehen nicht genug Daten zur Verfügung. Wir würden in der Kreislaufwirtschaft sehr davon profitieren – sowohl beim digitalen Produktpass als auch bei KI-Methoden, wenn dabei stärker zusammengearbeitet würde. Eine übergeordnete, also unternehmensübergreifende, digitale Infrastruktur ist etwas, das wir immer wieder propagieren.

Ist der digitale Fortschritt in der Kreislaufwirtschaft also eher eine kulturelle als eine technologische Herausforderung?

Absolut. Natürlich ist es auch herausfordernd, einen 40 Jahre alten Maschinenpark so auszurüsten, dass ich dort Daten herausbekomme. Aber das ist alles machbar. Die Bereitschaft, Daten zu teilen und Lösungen gemeinsam zu entwickeln, ist hingegen die Grundlage.

Welche weiteren Potenziale sehen Sie in der Anwendung künstlicher Intelligenz für die Nachhaltigkeit von Kunststoffprodukten?

KI wird wahrscheinlich in absehbarer Zeit die Materialsubstitution, also den Ersatz fossiler Rohstoffe beispielsweise durch biobasiertes Material oder eines Rezyklats, erleichtern. Es gibt Bestrebungen, Ähnlichkeiten in unterschiedlichen Materialien mithilfe künstlicher Intelligenz besser darstellen zu können. Vereinfacht gesagt: Ich kann bald viel einfacher als bisher simulieren, ob ein alternatives Material für eine gewünschte Anwendung genauso gut funktioniert wie die fossile Ware.

Wird künstliche Intelligenz auch beim Recycling selbst eine Rolle spielen?

Ja, das ist absehbar. Es gibt interessante Ansätze, um mittels KI die in spektroskopischen Verfahren gewonnenen Daten besser als bisher auszuwerten. Moderne Sortieranlagen können mit ihrer Infrarot-Sensorik schon ziemlich gut einzelne Kunststoffarten erkennen und voneinander trennen. Die Auswertung der Daten mithilfe von KI wird die Trefferquote in Zukunft aber noch deutlich erhöhen. Das bietet die Chance auf sauberere Stoffströme und damit letztlich auf mehr verwertbares Material in höherer Qualität.

Wie steht es um die praktische Umsetzung aller genannten Technologien und der damit verbundenen Chancen?

Im akademischen Maßstab und auch im praktischen Versuch ist bei allen genannten Ansätzen erwiesen, dass die Technologie funktioniert. Jetzt hängt es an der Datenverfügbarkeit und damit letztlich am Mindset der Beteiligten.

Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Der Circularity Code

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