Digital schafft Transparenz und Vertrauen
Der Einsatz digitaler Lösungen kann ein höheres Maß an Transparenz schaffen, was für Marken angesichts ihrer zunehmend kritischer beobachteten Lieferketten und des wachsenden Interesses an der Verwendung sozialverträglich recycelter Kunststoffe immer wichtiger wird. Gleiches gilt für den Nachweis der Einhaltung gesetzlich vorgeschriebener EPR-Verpflichtungen in Bezug auf Sammel-, Recycling- und Wiederverwendungsquoten.
Die damit verbundene Wertsteigerung von Abfällen geht mit einem Bedarf an Zertifizierung einher, um Betrug auf verschiedenen Ebenen zu vermeiden und Vertrauen nachhaltig aufzubauen. Dies wiederum setzt gewisse Standards im Bereich des Monitorings, Reportings und der Verifizierung bei der Sammlung und dem Recycling von Abfällen voraus.
„Standards sind wenig wert, wenn sie nicht eingehalten werden. Gleichzeitig kostet die fortlaufende Dokumentation Zeit und somit auch viel Geld, das dem Abfall und Recyclingsektor vielerorts fehlt“, merkt Joel Tasche kritisch an. Der Mitgründer und Geschäftsführer der Plattform CleanHub weiß, wovon er spricht, denn mit seinem Berliner Start-up unterstützt er Marken und Verbraucher dabei, ihren Plastikfußabdruck auszugleichen.
CleanHub arbeitet hierfür mit lokalen Sammel- und Recyclingpartnern in Indien, Indonesien, Kambodscha und Tansania zusammen. Durch den Einsatz einer eigens entwickelten Software will das Start-up nicht nur die Dokumentation erleichtern, sondern gleichzeitig sicherstellen, dass die laufende Erfassung der Massenbilanzen von Abfallströmen entlang der gesamten Logistikkette nachvollziehbar und präzise ist.
Hierfür werden während der gesamten Sammlung aus der Umwelt, anschließenden Sortierung und des weiteren Transports der Kunststoffabfälle von allen Beteiligten entsprechende Daten und Gewichtsnachweise per Foto in der CleanHub-App hochgeladen. Ein EchtzeitFeed bildet die Daten ab, die in das Cleanhub-System eingehen und können über die Website des Start-ups in einem Livedashboard eingesehen werden. Das schafft die notwendige Transparenz und somit auch Vertrauen bei den CleanHub-Kunden, die wiederum auf diese Weise über den digitalen Beleg verfügen, wie viel Kunststoff wann und wo für sie aus der Umwelt gesammelt und sachgemäß weiterverarbeitet beziehungsweise entsorgt wurde.
„Die gesammelten Daten, in unserem Fall Pixelwerte, müssen so in einen Kontext gestellt werden können, dass sie mit Daten von verschiedenen Zeitpunkten davor abgleichbar sind, um die Korrektheit sicherzustellen. Hier können zukünftig Machine Learning beziehungsweise Algorithmen eine noch wichtigere Rolle spielen, weil sie in der Lage sind, Abweichungen eigenständig zu erkennen“, erklärt Tasche. Hierdurch können Fehler erkannt und Betrug vermieden werden, indem es zum Beispiel schwerer ist, Abfälle doppelt zu verbuchen, obwohl sie nur einmal gesammelt wurden.
Hinsichtlich sozialer Aspekte, wie zum Beispiel der Gewährleistung von Arbeitsschutz oder fairer Bezahlung, warnt Tasche gleichzeitig davor, dass dies Technologie allein nicht lösen kann. Hierfür braucht es physische Social Audits direkt vor Ort. Es scheint also, dass bei Weitem noch nicht alles im digitalen Raum laufen kann und vielleicht besser auch nicht sollte.
Anreiz mit Durchblick
Die erhöhte Transparenz durch eine digitale Datensammlung und ihr übergeordneter Nutzen im Kampf gegen die Plastikmüll-Krise werden nicht von allen Unternehmen begrüßt. Skeptiker fürchten zusätzlich Bürokratie und Abgaben im Rahmen weiterer Regulierungen. Daher gilt es umso mehr, auch die Perspektiven der Abfallsammler, Recycler und Aggregatoren zu berücksichtigen und die Vorteile, die sich durch digitalisierte Prozesse für ihr Geschäft ergeben. (1)
Plattformen für das Lieferkettenmanagement, anhand derer Daten zentral abgebildet werden, bieten Herstellern, Inverkehrbringern und Recyclern wichtige Analysemöglichkeiten, um besser zu verstehen, wie sich ihre Stoffströme zusammensetzen, welche Trends sich bei bestimmten Materialien im Zeitverlauf abzeichnen und wie es um ihr Inventar steht. Das ist insbesondere nützlich für die Planung von Einnahmen und bei spezifischen Materialnachfragen – was vor allem der Fall ist, wenn eine direkte Verbindung zu Käufern oder dem globalen Rezyklatmarkt besteht und somit auch direkte Einsicht in Preisentwicklungen gewährleistet ist. (2)
Die Möglichkeit zu erzielende Verkaufspreise oder Prämien für ihre gesammelten Abfallmengen einsehen und untereinander vergleichen zu können, macht die Nutzung von Apps für die Abfallsammler und den Kunststoffabfall-Handel äußerst attraktiv. Der Zugang zu aktuellen Informationen über die Lokalisierung oder für die direkte Beauftragung zur Einsammlung von Abfällen und die Anzeige der nächstgelegenen Abnehmer ermöglicht es ihnen außerdem, ihre Arbeit effizienter und effektiver zu gestalten. Das verbessert im Idealfall die Chance auf eine regelmäßige Einkommensmöglichkeit oder sogar faire Entlohnung, Gesundheits- und Bildungsleistungen, (3) insbesondere dort, wo digitale Lösungen an entsprechende Programme gekoppelt sind oder die allmähliche Integration des sogenannten „informellen Sektors“ zum Ziel haben. Hierfür sind allerdings Ansätze erforderlich, die eine Bezahlung nach Leistung und nicht nur nach gesammelter Menge ermöglichen, zum Beispiel basierend auf Zuschlägen unter Berücksichtigung der tatsächlich für die Sammlung aufgewendeten Zeit.
Zu viel des Guten?
„Die Vorteile digitaler Lösungen mögen zwar auf den ersten Blick auf der Hand liegen und dazu beitragen, verbesserte Lebens- und Arbeitsbedingungen für Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern zu schaffen. Digitale Lösungen können zudem die Voraussetzungen für eine Kreislaufwirtschaft verbessern, indem sie beispielsweise Materialströme nachvollziehbar machen und Transparenz über das Einhalten von Berichtspflichten und Erreichen von Recyclingzielen schaffen. Im praktischen Tagesgeschäft können Abfallsammler zum Beispiel durch digitale Apps mit Produzenten verbunden werden und Anreize erhalten, Material mit geringem Wert zu sammeln. Aber nicht alle informellen Abfallsammler haben Zugang zu solchen digitalen Apps. Daher ist nicht das gesamte Multiversum der digitalen Angebote nützlich, und es muss darauf geachtet werden, dass durch die neuen Systeme niemand ausgeschlossen wird“, sagen Ellen Gunsilius, Fachplanerin für Umwelt und Kreislaufwirtschaft bei der GIZ und ihr Kollege Steffen Blume, Projektmanager zur Verringerung der Eintragung von Plastikmüll in die Weltmeere.
Sie sind in Abfall- und Kreislaufwirtschaftsprojekte in verschiedenen Ländern involviert und Teil der PREVENT Waste Alliance-Plastics-Arbeitsgruppe, in die sich auch viele digitale und zirkuläre Unternehmen einbringen. Diese zählte bereits über 20 nationale und internationale AbfallSammel-Apps, die allein in Indonesien auf dem Markt sind. Gunsilius und Blume leiten daraus einen Bedarf an Harmonisierung und Interoperabilität ab, weil andernfalls weiterer Fortschritt ausgebremst und Ressourcen für die immer gleichen Ansätze investiert würden.
Neben einer gewissen technischen Offenheit auf Programmierebene der Apps (4) setzt dies vor allem den Willen der Marktteilnehmer zu einer Kooperation für den übergeordneten Zweck voraus. „Wenn Standards für digitale Lösungen und Datennutzung geschaffen werden, diese aktualisiert und Regierungen und Marktteilnehmern zugänglich gemacht werden, würde der Mehrwert vielleicht anerkannt, und sie könnten durch Effizienz- und Skalengewinne einen Beitrag zu verbesserten Umwelt- und Lebensbedingungen schaffen“, wagen Gunsilius und Blume vorsichtig abzusehen.
Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Der Circularity Code
Fußnoten
(1) PREVENT Waste Alliance (2023) (2), S. 5
(2) Vgl. Interviewaussagen Peter Nitschke, Plastic Banc und Joel Tasche, CleanHub
(3) Vgl. Plastic Bank (o. J.)
(4) Circular Action (o. J.) (2)