Fakten statt Appelle

Sebastian Metzger und seine Kolleginnen und Kollegen wandeln auf dünnem Eis. Sie erklären Menschen, wie sie ihre Wohnungen und Häuser möglichst klimaschonend bauen, sanieren und heizen sollten. Das geht eigentlich gar nicht. Nicht erst seit dem „Heizungsgesetz“ der vorigen Bundesregierung gelten Hinweise zum Ressourcenschutz vielen als Eingriff in die Privatsphäre. Die gemeinnützige Energiesparberatung co2online hingegen ist in deutschen Heizungskellern willkommen. Und nicht nur dort.
Wie geht das?
„Wir appellieren nicht. Wir setzen ausschließlich auf die Vermittlung von Fakten“, fasst Sebastian Metzger aus dem Geschäftsführungsteam von co2online die Beratungsstrategie der Berliner zusammen. Knapp 160.000 Abonnenten erhalten derzeit den Newsletter. Fast vier Millionen Besucher verzeichnete die Website im vergangenen Jahr. Dort finden sich unter anderem Leitfäden, Energiespar-Checks und Kampagnen für den Klimaschutz im privaten Umfeld. Die verschiedenen Energiespar-Checks von co2online werden inzwischen auf rund 280 Websites von Partnerorganisationen eingesetzt.
Das Wichtigste: Allein 2023 haben die digitalen Beratungsangebote zu Einsparungen von fünf Millionen Tonnen CO2 geführt. Das hat das Team durch systematische Befragungen ihrer Nutzer ermittelt. co2online gelingt es also offenbar, Menschen vom Nachdenken ins Handeln zu bringen.
Daten sind der Schlüssel
Der Schlüssel dazu sind gute Daten. „Man muss in der Lage sein, evidenzbasierte Aussagen beispielsweise zum Gebäudebestand zu treffen. Sonst rutscht man schnell in eine Oberflächlichkeit rein, die keinen Mehrwert liefert und Menschen eher frustriert und misstrauisch macht als zum Handeln motiviert“, weiß Sebastian Metzger.
co2online erhält Daten über die eigene Zielgruppe aus verschiedenen Quellen. Am wichtigsten sind die Energiespar-Checks zu spezifischen Themen wie Wärmepumpe oder Fördermitteln auf den Websites von co2online oder einem der Partner. Damit können Verbraucherinnen und Verbraucher ihr individuelles Sparpotenzial für eine Maßnahme selbst ausrechnen. Die Angaben in den Checks sind anonym und fließen in eine Datenbank – die co2online-Gebäudedatenbank (siehe www.wohngebaeude.info).
Durch gezielte Nachbefragungen bekommt co2online Feedback zu den Rechnern und erfährt, ob die Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich eine Veränderung am Haus durchgeführt haben. „Wir brauchen diese Nachbefragung, um zu wissen, ob das Konzept wirklich aufgegangen ist, auch wenn zusätzliche Fragen manchmal abschrecken“, erklärt Sebastian Metzger.
Die sich aus der Nutzung der Rechner ablesbaren Trends greift co2online auf und nutzt sie für die Kommunikation über soziale Medien, die Website oder den Newsletter. Über die Auswertung von Nutzerverhalten wie Klickzahlen wird sichtbar, was gelesen wird und die Menschen interessiert. Ein Beispiel von Isabelle Ritter, Projektleiterin bei co2online: „Posts über Mythen und Vorurteile laufen bei uns immer gut.“ Außerdem lernt co2online seine Zielgruppe durch regelmäßige Umfragen an Newsletter-Abonnentinnen und -Abonnenten besser kennen. Auch auf den Bias in den Daten wird geachtet, um festzustellen, wie repräsentativ die befragte Gruppe für die Gesamtbevölkerung in Deutschland ist. „So können wir immer wieder schauen: Spiegeln die Daten das Verhalten wider, oder verändert sich dort etwas?“, bemerkt Sebastian Metzger.
Schließlich nutzt co2online auch externe Daten, etwa aus der Forschung, um eigene Beobachtungen zu ergänzen. Dieser fundierte Überblick ermöglicht evidenzbasierte und zugleich sehr passgenaue Kommunikation auch in den Medien.
Sowohl die BILD-Zeitung als auch SPIEGEL ONLINE haben bereits Daten von co2online aufgegriffen. Nach solchen Kooperationen verzeichnen die Tools von co2online oft mehr Nutzerinnen und Nutzer – eine weitere Chance, die eigenen Daten zu verbessern. „Auch wenn man bei großen Kooperationen sehr gut aufpassen muss – unsere Server haben keine unendlichen Kapazitäten und sind uns auch schon abgestürzt. Das tat weh“, erinnert sich Sebastian Metzger.
Weniger ist mehr
Was neben harten und belastbaren Fakten noch hilft, Menschen vom Nachdenken ins Handeln zu bringen: zentrale Botschaften. „Viele Menschen fühlen sich von der Menge an guten Ratschlägen überwältigt. Kommunikation sollte sich auf die Maßnahmen mit der größten Wirkung fokussieren“, weiß Sebastian Metzger. Dabei hilft Passgenauigkeit. co2online setzt darauf, Menschen mit den für sie relevanten Daten und Informationen, statt mit allgemeinen Tipps anzusprechen.
Auch der Ton kann einen Unterschied machen. Menschen müssen sich mit ihrer Motivation ernst genommen fühlen. Isabelle Ritter: „Die Leute wollen das Gefühl haben, als mündige Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen zu werden.“ Deshalb zeigt auch co2online authentische Erfahrungswerte von Menschen, die ihre Gebäude sanieren, und bietet eine Community zur Vernetzung. Dies schafft Transparenz und ermöglicht technische komplexe Themen kommunikativ leicht zugänglich zu transportieren. „Empathie trifft Empirie“ – dies macht für Sebastian Metzger und seine Kolleginnen und Kollegen den Unterschied.
Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Die Kluft im Kopf
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