„Eine übergeordnete Strategie zählt“

Im POLYPROBLEM-Interview schildert Eben Schwartz, Programm-Manager für den Bereich Meeresmüll bei der California Coastal Commission, wie die Lobby der Kunststoffindustrie Plastikverbote in Kalifornien verhindert.

Es ist bereits über ein Jahrzehnt her, dass die ersten lokalen Verordnungen in Kalifornien zur Regulierung des Gebrauchs von Plastiktüten in Kraft getreten sind. Und seit nun fast sieben Jahren existiert das landesweite Plastiktütenverbot. Wie beurteilen Sie den Erfolg des Verbots insgesamt und wie wurde es von der Gesellschaft angenommen?

In Kalifornien herrscht eigentlich ein ziemlich großes Umweltbewusstsein. Das war auch einer der ausschlaggebenden Gründe, warum eine klare Mehrheit der Stimmberechtigten 2016 für das landesweite Verbot gestimmt hat. Auch deshalb gehe ich davon aus, dass die öffentliche Akzeptanz für ein Verbot von Plastiktüten insgesamt recht groß ist. Außerdem hat das Bewusstsein für die Umweltverschmutzung durch Plastikmüll im Vergleich zu vor 22 Jahren, als ich meine Arbeit begann, stark zugenommen.

Was den Erfolg des Verbots anbelangt, sprechen die Daten auf Grundlage unserer Beach-Clean-Ups für sich: Zwischen 2010, als die ersten regionalen Verbote eingeführt wurden, und 2017, nach Einführung des landesweiten Verbots, ist die Anzahl der gesammelten Plastiktüten von neun auf 1,3 Prozent des Gesamtvolumens unseres gesammelten Mülls gesunken. Seitdem – mit Ausnahme des Pandemiejahres – ist die Anzahl auf diesem niedrigen Niveau geblieben. Aufgrund der Pandemie und der äußerst wirksamen Lobbyarbeit der Plastiktütenindustrie sah sich unser Gouverneur letztes Jahr gezwungen, das Verbot für zwei Monate auszusetzen. Die Konsequenz wurde bei unserer großen Müllsammelaktion im September 2020 direkt sichtbar, indem der Anteil von gesammelten Plastiktüten erneut auf sechs beziehungsweise sieben Prozent gestiegen war.

Es scheint so, als hätte die Kunststoffindustrie in Kalifornien eine große Lobby. Wie wirkt sich diese Macht auf die Einführung von Maßnahmen zur Verringerung von Kunststoffabfällen aus?

Ein Beispiel aus der Vergangenheit verdeutlicht sehr gut, wie weit die Kunststoffindustrie dem Rest von uns in Sachen Lobbyarbeit voraus ist. Im Jahr 2009 hatten wir bereits damit begonnen, Lebensmittelverpackungen aus Styropor zu verbieten. Mittlerweile umfasst das Verbot über 85 kalifornische Städte. Die Hoffnung bestand darin, dass auf kompostierbare Lebensmittelbehälter umgestiegen werden würde. Doch stattdessen stieg man auf Behälter aus Hartplastik um, die viel billiger sind. Noch bevor die Gesetzgebung also in der Lage war, das Verbot einzuführen, war die Kunststoffindustrie schon mit einem Ersatzprodukt zur Stelle, das sie effektiv zu vermarkten wusste. Der große Einfluss der Kunststoffindustrie geht auf die Unterstützung aus der Öl- und Gasindustrie zurück. Und weil diese Industrie so stark subventioniert wird, ist Kunststoff zum billigsten Material am Markt geworden. Dieser Umstand ist wirklich problematisch, weil wir somit nicht die tatsächlichen Kosten für Kunststoff zahlen.

Wodurch werden Plastiktüten ersetzt und wie beurteilen Sie den ökologischen Fußabdruck dieser Alternativen?

Das landesweite Plastiktütenverbot hat einen negativen Beigeschmack, der sich ebenfalls auf die erfolgreiche Lobbyarbeit der Plastikindustrie zurückführen lässt. In letzter Minute ist es ihnen nämlich gelungen, Plastiktüten mit einer bestimmten Wandstärke als wiederverwendbar zu bewerben. Für diese dickeren Plastiktüten wird eine Gebühr von zehn Cent erhoben. In manchen Gemeinden kann die Gebühr höher ausfallen, wie in Oakland, wo sie bei 25 Cent liegt. Insgesamt ließ sich ein Anstieg bei der Verwendung von privaten Tragetaschen und Papiertüten beobachten. Betrachtet man jedoch die Lebenszyklusanalysen von Papier- und Plastiktüten im Vergleich, so wird deutlich, dass der CO2-Fußabdruck der letzteren geringer ist. Das maßgebliche Problem dieser Analysen ist, dass sie oftmals am Werkstor aufhören, wo die Tüten hergestellt werden. Eigentlich müsste die gesamte Verwendung des Produkts und der endgültige Verbleib ebenfalls Gegenstand der Analysen sein. Ich habe nämlich noch von keiner Lebenszyklusanalyse gehört, die ermittelt, wie hoch die Kosten sind, wenn eine Plastiktüte im Magen einer Meeresschildkröte landet.

Gibt es noch andere Kunststoffprodukte, bei denen Sie ein Verbot für sinnvoll erachten?

Ich persönlich denke, dass Zigarettenfilter durchaus verboten werden könnten. Bei unseren Clean-Up-Aktionen machen sie jedes Jahr den größten Teil der gesammelten Abfälle aus. Es gibt aber auch andere Produkte, für die zusätzliche Gebühren erhoben werden könnten, um ihren Gebrauch unattraktiver zu machen. Letztendlich denke ich, dass wir zu einer Lösung kommen müssen, bei der Deutschland bisher Pionierarbeit geleistet hat – der erweiterten Produzentenverantwortung (EPR). Hier meine ich aber EPR-Maßnahmen, die speziell
auf Lebensmittel- und Getränkeverpackungen ausgerichtet sind. Schließlich ist das der Anwendungsbereich, der den meisten unsachgemäß entsorgten Abfall ausmacht, den wir jedes Jahr einsammeln.

Verbote werden oftmals als politischer Aktionismus kritisiert. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Ich stimme zu, dass viele Verbote das Problem nur oberflächlich angehen, weil wir oft nicht wissen, welche Alternativen stattdessen verwendet werden. Es kommt also wirklich darauf an, ob ein Verbot Teil einer größeren Strategie ist. Denn nur dann ist es wirklich ein Mittel zum Zweck.

Würden Sie die Verbote einiger Einweg-Kunststoffartikel als Teil einer ganzheitlichen Strategie betrachten?

Die peinliche Antwort lautet: Nein. Die Verbote sind keineswegs Teil einer übergeordneten Strategie. Ganz am Anfang, im Jahr 2009, lag der Fokus zunächst auf dem Verbot von problematischen Artikeln wie Plastiktüten und Lebensmittelverpackungen aus Styropor. Mit
dem neuen Gesetzentwurf zur Kreislaufwirtschaft wollen wir aber nun einen umfassenderen Umgang mit dem Thema Kunststoffverpackungen auf den Weg bringen. Der Entwurf enthält sowohl Maßnahmen für Unternehmen als auch konkrete Verantwortlichkeiten für staatliche Stellen. In den letzten beiden Parlamentssitzungen ist der Entwurf zwar gescheitert, aber 2022 wird er erneut zur Abstimmung vorgelegt. Wir hoffen, dass das Ergebnis dann besser ausfallen wird.

Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Strafsache Strohhalm