Vom Cleanup zum Think Tank – über Waste Management in Südostasien

Interview mit Emily Woglom, Executive Vice President Washington D.C von Ocean Conservancy über Waste Management in Südostasien und was nötig ist damit es funktioniert.

Über Ocean Conservancy

Die US-amerikanische NGO Ocean Conservancy wurde 1972 gegründet und engagiert sich seither für vielfältige Aspekte des Meeresschutzes, wobei das Thema Kunststoff und Umwelt eine starke Rolle spielt. Weltweit bekannt wurde die Organisation durch den International Coastal Cleanup, einem weltweiten Aktionstag, an dem sich mehrere hunderttausend Freiwillige beteiligen. Mit der Trash Free Seas Alliance hat Ocean Conservancy eines der am meisten beachteten Netzwerke mit starker Beteiligung von Industrieunternehmen gegründet.

Ocean Conservancy engagiert sich schon seit 1972 gegen Plastikmüll. Was hat sich seither verändert?

Seit vielen Jahren organisieren wir den „International Coastal Clenaup“. Gruppen aus der ganzen Welt sammeln an einem bestimmten Tag im Jahr Müll an den Stränden. Aber sie sammeln nicht nur Müll, sie erfassen auch, was sie finden. Wir wissen also ziemlich genau, wie sich die Zusammensetzung des Mülls in den Ozeanen verändert. Im Jahr 2017 waren erstmals alle zehn am häufigsten gefundenen Objekte aus Kunststoff. In all den Jahren zuvor fanden wir auch Glas und andere Materialien unter den Top Ten. Jetzt ist es praktisch nur noch Kunststoff.

Vor einigen Jahren erkannten wir, dass der Coastal Cleanup zwar eine großartige Plattform, aber keine Lösung des Problems darstellt. Also haben wir eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe bei dem „National Center for Ecological Analysis and Synthesis“ zusammengestellt, einem weltweit renommierten ökologischen Think-Tank. Deren Arbeit führte 2015 zu dem viel zitierten Artikel „Plastic waste inputs from land into the Ocean“ in der Zeitschrift „Science”, in dem unter anderem erstmals publiziert wurde, dass acht Millionen Tonnen Plastikmüll pro Jahr im Meer landen und dass 50 Prozent davon aus fünf Ländern stammen.

Wie sind Sie mit dieser Erkenntnis umgegangen?

Resultat war die Gründung der Trash Free Seas Alliance. Das ist ein Bündnis aus Industrieunternehmen, Umweltorganisationen und Wissenschaftlern, die gemeinsam an Lösungen arbeiten. Um diese Zusammenarbeit aufzubauen, haben wir unsere Coastal Cleanup-Sponsoren, darunter Dow und Coca-Cola, davon überzeugt, dass wir mehr tun müssen als Müll aufzusammeln.

Die Arbeit von Dr. Jenna Jambeck und dem Team von Wissenschaftlern, das an der Veröffentlichung von 2015 gearbeitet hat, hat uns gezeigt, dass der größte Teil des Kunststoffs in den Ozeanen aus Ländern stammt, die eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung erleben. Länder wie China, Indonesien, Vietnam, Thailand oder die Philippinen, in denen sich die Konsumgüterindustrie stark entwickelt, die Entsorgungsinfrastruktur aber nicht mit dieser Entwicklung Schritt hält. Die Trash Free Seas Alliance® möchte sich auf dieses Problem konzentrieren.

Wie geht die Trash Free Seas Alliance dabei vor?

Wir haben die finanziellen, technischen, rechtlichen und politischen Hindernisse für die Abfallwirtschaft in diesen Regionen der Welt analysiert. Das Ergebnis dieser Analyse ist ein neuer Impact- Investmentfonds, der zusammen mit Closed Loop Partners aufgelegt wurde (der später in die Investmentgesellschaft Circulate Capital ausgegliedert wurde, die diesen Fonds nun verwaltet). Ziel ist es, 150 Millionen Dollar in Entsorgungslösungen in Südostasien zu investieren. Das Geld soll in Form von subventionierten Darlehen und
Investitionszuschüssen fließen.

Wir glauben, dass mehrere Strategien erforderlich sein werden, um dieses Problem zu lösen. Die „Zero Waste Bewegung“ arbeitet daran, den Kunststoffverbrauch insgesamt zu reduzieren. Andere arbeiten an der Entwicklung von Materialien und Produkten, um sie recyclingfähiger zu machen.

Wir glauben daran, dass angesichts der akuten Krise, ausgelöst durch das Äquivalent eines Lastwagens an Plastikmüll, der jede Minute ins Meer geworfen wird, am meisten erreicht werden kann, wenn wir eine adäquate Sammel- und Recyclinginfrastruktur in Südostasien aufbauen.

Welches sind dabei die größten
Herausforderungen?

Eine große Herausforderung besteht in der Wirtschaftlichkeit eines solchen Systems für die beteiligten Menschen. Der Wert von recycelbarem Material ist einfach nicht hoch genug. Wenn ein Müllsammler einen Tag lang gut verwertbare PET-Flaschen aufliest, kann er damit drei bis vier Dollar verdienen. Sammelt er in der gleichen Zeit schwer verwertbares Material, wie dünne Folien, bekommt er nur 50 Cent. Es muss also ein größerer Markt für wiederverwertbares Material entstehen.

Wir müssen uns daher fragen, wie in Asien die Sammlung von Abfällen attraktiver werden kann, als sie wegzuwerfen. Ist eine Kommunalsteuer auf bestimmte Produkte erforderlich? Oder sollte der Staat hohe Quoten für recycelte Inhaltsstoffe in Verpackungen festlegen und damit den Wert des gewonnenen Materials erhöhen? Im Moment sind wir der Meinung, dass neue politische Instrumente notwendig sind, um die richtige Verteilung dieser Kosten zu finden.

Sehen Sie besonders
gute Lösungen?

Um ehrlich zu sein, sind Energie und die Finanzierung von Aktivitäten den Lösungen derzeit weit voraus. Das ist ungewöhnlich, denn für viele andere gesellschaftliche Herausforderungen gibt es gute Lösungen, aber wenig Geld und wenig Bewusstsein. Für Plastik und die Umwelt gilt das Gegenteil. Die Weltbank, die G7, die G20, die Vereinten Nationen, zahlreiche nationale Regierungen und Unternehmen machen dies zu einer Priorität, aber wir arbeiten immer noch daran, Lösungen zu entwickeln.

Unternehmen und Stiftungen wollen Aktionen und Projekte sehen, aber das Problem ist zu groß, um einige Pilotprojekte hier und da auszuprobieren. Wir brauchen nachhaltige politische und finanzielle Rahmenbedingungen, um eine Kreislaufwirtschaft überhaupt erst zu ermöglichen. Es ist für uns effektiver, an den Grundlagen für ein solches System zu arbeiten, als Einzelprojekte zu betreiben.

Insgesamt ist es die Komplexität des Problems, die die größte Herausforderung darstellt. Es gibt keine einheitliche Lösung für die Umweltbelastung durch Kunststoffe. Wir brauchen Maßnahmen an mehreren Fronten gleichzeitig. Politisches Handeln muss mit der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und neuer Technologien einhergehen.

Ist dafür mehr Koordination unter den einzelnen Initiativen notwendig?

Ja und nein. Es gibt bereits viel Kommunikation und Koordination zwischen den Akteuren. Wir sprechen mit unseren Industriepartnern. Einige von ihnen sind Teil des Netzwerks World Business Council on Sustainable Development. Auch das Weltwirtschaftsforum tritt auf den Plan.

Bei der sektor- und organisationsübergreifenden Koordination ist jedoch zu berücksichtigen, dass es zwei Gruppen von Akteuren mit unterschiedlicher Handlungslogik gibt. Wir glauben, dass der Privatsektor Teil der Lösung sein muss, und wir arbeiten dort mit Führungskräften zusammen, die sich für die Lösung des Problems einsetzen, um machbare Lösungen zu entwickeln. Es gibt andere
in der NGO-Gemeinschaft, die an öffentlichen Kampagnen arbeiten, um die Industrie zum Handeln zu bewegen. Beide spielen eine wichtige Rolle, aber dieser Unterschied kann schwer zu überbrücken sein, wenn es um koordinierte Aktivitäten geht.

Wir sprechen derzeit mit einer Reihe relevanter Akteure über verbesserte Kooperationsmechanismen. Es geht nicht so sehr darum, ob Projekte gemeinsam durchgeführt werden sollen, sondern vielmehr darum, ob und wie auf eine gemeinsame Architektur zugegriffen werden kann – zum Beispiel auf Bewertungsergebnisse oder ein gemeinsames Set von Basisdaten. Das würde mehr helfen als jeden Monat in einem Raum zu sitzen.