Boutiquen für den Plastik-Ablass

Circular Action Hub, Plastic Credit Exchange, rePurpose, CleanHub, Plastic Collective, Empower … die Liste ist lang, und entsprechend vielschichtig ist auch das Angebot der Handelsplattformen für Plastik-Kompensations- und begleitende Marketingangebote. Sie alle eint das Anliegen, Unternehmen, die ihren ökologischen Fußabdruck kompensieren möchten, mit Projektanbietern zusammenzubringen.

Sie beraten Unternehmen und Personen darin, welche lokalen Sammel- oder Recyclingprojekte ihren Bedürfnissen am ehesten gerecht werden, um dann die Transaktion von Credits oder den Kauf von zertifiziertem Plastik zu begleiten. In den seltensten Fällen nehmen diese Makler bloß eine vermittelnde Rolle ein. Zumeist fungieren sie gleichzeitig als Projektanbieter. So stellen sie den in ihren Portfolios aufgeführten Kooperationspartnern häufig auch Softwarelösungen zur Verfügung, um entlang der Lieferkette Daten über die gesammelten oder recycelten Kunststoffabfälle zu erfassen und Prozesse zu optimieren.

Gute Story inklusive

Mit einem eigens entwickelten „Circular Credits Mechanism“ zählt die von der brasilianischen NGO BVRio ins Leben gerufene Plattform Circular Action Hub zu den Pionieren für Plastic Credits. Ihre Mission ist es, ein Zahlungssystem für Serviceleistungen im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu schaffen, das auf die soziale Einbindung und Beschäftigung von informellen Abfallsammlern abzielt. Heute führt Circular Action Hub ein umfangreiches Projektportfolio, entlang dessen sich Unternehmen entsprechend ihrer Bedürfnisse für geeignete Projekte umsehen können und Unterstützung bei der Kooperationsabwicklung durch beispielsweise Vertragsvorlagen und Finanzvermittlungsdienste erhalten.

Auch das im Jahr 2019 gegründete und in Berlin ansässige Start-up CleanHub möchte mit seiner Plattform Marken und Verbrauchern die Möglichkeit geben, ihren Plastik-Fußabdruck teilweise auszugleichen. Dabei liegt der Fokus der Projekte aus dem Portfolio von CleanHub auf dem Sammeln nicht oder nur schwer recycelbarer Plastikabfälle aus mehrschichtigen oder flexiblen Kunststoffen (z.B. Folien), die in vielen anderen informellen Sammelsystemen meist liegen bleiben, weil den Abfallsammlern der finanzielle Anreiz fehlt. (1) CleanHub finanziert sich durch eine Marge am Verkauf der Plastic Credits, plant aber eine Mitgliedschaft einzuführen, die die Grundvoraussetzung für den Kauf von Credits und die Nennung von CleanHub als Partner dienen soll.

Um die Preisschwankungen pro Tonne gesammelten Kunststoffs zwischen den einzelnen Projekten auszugleichen, die auf den unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad der Sammlung zurückzuführen sind, bietet CleanHub seinen Kunden einen Projektmix aus dem Portfolio an. „Kunden können sich aber auch dafür entscheiden, ganze Netzwerke zu unterstützen oder aufgrund gewisser Nachhaltigkeitskriterien den Fokus auf bestimmte Projekte zu legen“, erläutert CleanHub-Mitgründer Joel Tasche.

Er weiß aus Erfahrung, dass viele Unternehmen bei der Auswahl eines Kompensationsprojektes auch großen Wert auf die Möglichkeiten für ihre Nachhaltigkeitskommunikation legen. Wer Gutes tut, will in der Regel auch darüber reden. Nicht selten falle dabei das Stichwort Ozeanplastik. Ein schwieriger, weil unbestimmter Begriff. Hier sei Beratung gefragt. „Gewässer- und Strandsammelprojekte sind sehr teuer, meist nur schlecht skalierbar, und sie lösen auch nicht das Grundproblem“, weiß Tasche und rät seinen Kunden deshalb gern zur Förderung intelligenter Aggregationspunkte, wie kleinen Läden und Kiosken, um den Müll direkt an der Quelle einzusammeln. Inzwischen zählen bereits über hundert Marken zu den Kunden von CleanHub, wie beispielsweise Fuchs Gewürze oder everdrop, die 200 beziehungsweise 60 Tonnen Plastik kompensieren lassen.

Ein Credit-Makler, der bereits mit den großen Markenartiklern, wie PepsiCo, Colgate-Palmolive, Unilever oder Nestlé zusammenarbeitet, ist die philippinische NGO Plastic Credit Exchange (PCX). Gemeinsam mit Microsoft hat PCX im letzten Jahr ein öffentlich einsehbares Blockchain-gestütztes Plastic Credit Register gestartet. (2) So lässt sich für Außenstehende beispielsweise einsehen, dass PepsiCo Philippines im Jahr 2020 insgesamt 563 Tonnen Plastik durch den Kauf von Credits kompensiert hat. (3)

Insgesamt konnten mit PCX bisher über 23.550 Tonnen Plastikabfall (4) gesammelt beziehungsweise weiterverarbeitet werden bei einer Gesamtsumme an Investitionen von rund 2,8 Millionen Dollar, die unter anderem auch in Bildungs- und Abfallinfrastrukturfonds fließen. (5) So baut PCX beispielsweise in Kooperation mit dem philippinischen Sozialunternehmen HOPE im Rahmen des Projektes Aling Tindera ein Netzwerk an Mikrounternehmerinnen auf, um den Frauen durch die Abfallsammlung gesicherte Einkommensmöglichkeiten zu schaffen. (6)

In Indien ist es nach einer Gesetzesänderung nunmehr möglich, dass Unternehmen ihrer Erweiterten Produzentenverantwortung (EPR) auch durch den Kauf von Plastic Credits von zertifizierten Kunststoffsammel- oder -recyclingunternehmen nachkommen. Diese Entwicklung war für EcoEx Anlass genug, um 2021 die erste indische Handelsplattform für EPR-Plastic Credits ins Leben zu rufen. (7)

Zwischen Strenge und Empathie

Vor allem bei der Zusammenarbeit mit Unternehmenskunden ist den Credit-Maklern besonders daran gelegen, dass die Sammel- und Recyclingpartner in ihren Projektportfolien die Einhaltung allgemeingültiger sozialer und ökologischer Prinzipien gewährleisten, um Reputationsrisiken zu vermeiden. RePurpose – neben Plastic Credit Exchange und Circular Action Hub eine der bekanntesten Kompensations-Plattformen für Kunststoffabfall – verfügt beispielsweise über ein sogenanntes Plastic Credit Protocol, das neben den allgemeinen Bedingungen für eine Kooperation (Prinzip der Zusätzlichkeit, Messbarkeit, Verifizierbarkeit) auch Sicherheitsgarantien bezüglich umwelt- und arbeitsrechtlicher Anforderungen, darunter das Verbot von Kinderarbeit, die Verbesserung der Lebens- und Einkommenssituation des informellen Sektors sowie die Zahlung von Mindestlöhnen und die Gewährleistung fairer Arbeitsbedingungen umfasst. (8)

Neben allgemeinen Prinzipien (siehe Grafik), die die Projektpartner angehalten sind einzuhalten, begrüßt Circular Action Hub zusätzlich freiwillige Zertifizierungen der Projekte unter dem Circular Credits Standard (BVRio), dem Plastic Waste Reduction Standard von Verra oder dem Ocean Bound Plastic Neutrality Subprogram (OBP) von Zero Plastic Oceans. (9)

Bei CleanHub ist die Bedingung für die Aufnahme in das Projektportfolio ein erfolgreicher Zehn-Tonnen-Pilot und ein Social Audit. CleanHub-Chef Joel Tasche findet, dass bei vielen der Standards am Markt bisher die soziale Ebene noch zu kurz kommt. CleanHub hat deshalb einen eigenen Code of Conduct in Anlehnung an die Anforderungen der Fair Labor Association, der Ethical Trade Initiative und des SA800-Standards entwickelt. (10) Gleichzeitig betont er, dass „kein Perfektionismus erwartet wird, aber das Ziel ist, ständigen Anreiz für Optimierungen und Fortschritte bei den Partnern zu schaffen“.

Credit-Makler leisten einen wichtigen Beitrag zur besseren Sichtbarkeit von Sammel- und Recyclingprojekten, wenngleich sie den Aufbau direkter Beziehungen zwischen Kompensations-Kunden und lokalen Projekten eher behindern als fördern. (11) Ohne die Angebote der Handelsplattformen, die in vielen Fällen durch zusätzliche Services wie die Bereitstellung von PR-Materialien einem Rundum-sorglos-Paket gleichen, wäre die Hemmschwelle für viele Unternehmen, sich für die Abfallbeseitigung im Globalen Süden zu engagieren, wohl deutlich größer. Neben ihrem vielleicht nicht uneigennützigen Beitrag zur Schaffung von mehr Transparenz in einem undurchsichtigen Markt, sollte Maklern daran gelegen sein, ein tiefes Verständnis davon zu entwickeln, was die lokalen Organisationen brauchen, um in sozialer, ökologischer und finanzieller Hinsicht nachhaltig zu wirken.

Letztendlich ist es wohl am wichtigsten, dass die Makler ihre Kunden darüber aufklären, dass Ausgleichsmaßnahmen ein zirkuläres Wirtschaften nicht ersetzen.

Zwei Fallbeispiele:

Raum für Spezialisten

Vermittler, Makler und Plattformen für Plastik-Kompensationsmaßnahmen unterscheiden sich in ihren Angeboten und Wirkungsweisen teilweise erheblich. Sie setzen unterschiedliche Schwerpunkte und Anreize für Plastic-Credit-Käufer. Der Blick auf zwei junge Unternehmen verdeutlich das.

Das Berliner Start-up precycle vermittelt nicht nur Plastic Credits an Privatpersonen und Unternehmen. Das Team um Gründer Christian Rühlmann hat vor allem eine digitale Lösung entwickelt, mit deren Hilfe Online-Shops ihren umweltbewussten Kunden im Zuge des Zahlungsvorgangs anbieten können, einen freiwilligen Beitrag zur Plastik-Kompensation direkt beim Kauf zu leisten. Das ist vergleichbar mit dem Angebot vieler Fluglinien und Reiseportale, bei der Buchung durch einen kleinen Aufpreis direkt einen CO₂-Ausgleich zu kaufen. Zudem hat precycle in seine App einen Plastic-Footprint-Rechner integriert, mit dem jeder Verbraucher seinen persönlichen Plastik-Fußabdruck ermitteln kann.

www.precycle.today

Das ebenfalls in Berlin ansässige Start-up WasteReduction Plus bietet Unternehmen sein Label Plastik-Neutral+ an. Dazu gehört die gemeinsame Ermittlung des Plastik-Fußabdrucks und die Möglichkeit, diesen vollständig zu kompensieren. Die Besonderheit bei WasteReduction liegt aber darin, dass über Plastic Credits nicht nur das Sammeln und Verwerten von Kunststoffabfall kompensiert wird. 20 Prozent des jeweiligen finanziellen Einsatzes fließen in Bildungsprojekte, die dazu beitragen sollen, dass weniger Kunststoffabfall entsteht. Das Gründerteam Ruth Kranenberg und Martin Hinteregger will auf diese Weise mit Plastic Credits nicht bloß Symptome behandeln, sondern schon bei der Prävention ansetzen.

www.waste-reduction.de

Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Kauf Dich frei

 

Fußnoten

(1) CleanHub (o.J.) (1)

(2) Business World (2021)

(3) Plastic Credit Exchange (o.J.) (1) unter Suchanfrage: „PepsiCo Philippines“

(4) Auf der Website von PCX wird zum Vergleich ein Gewicht von 157 Blauwalen à 150 Tonnen angegeben.

(5) Plastic Credit Exchange (o.J.) (2)

(6) Plastic Credit Exchange (o.J.) (3)

(7) Business Standard (2021)

(8) rePurpose (2021)

(9) Circular Action Hub (o.J.) (1)

(10) CleanHub (o.J.) (2)

(11) The Circulate Initiative (2021)

 

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