Fernerkundung von Plastik-Emissionen

Obwohl digitale Tools die Dokumentation erheblich erleichtern, ist das Entfernen von Abfällen aus der Umwelt müßig und erfolgt meist manuell, oftmals nur punktuell und erfordert vor allem das Engagement von Einzelpersonen. Bedenkt man das riesige Ausmaß der Plastikkrise, bedarf es also auch ergänzender Ansätze bei der Beseitigung bereits eingetretener Verschmutzung.

Eine immer wichtigere Rolle spielt hierbei die Fernerkundung durch den Einsatz von Überwachungskameras, Flugzeugen und Drohnen sowie Satelliten, bei der die physikalischen Eigenschaften eines Areals durch die Messung der reflektierten und emittierten Strahlung aus der Ferne erfasst und untersucht werden. (1)

KI als rechte Hand

Ein Projekt, das es sich zum Ziel gemacht hat, mithilfe von Flugzeugen schwimmenden und angeschwemmten Plastikmüll aus der Luft aufzuspüren, um Rückschlüsse auf Ursprünge und Verbreitungswege zu ziehen, ist PlasticObs_plus. „Perspektivisch wollen wir ein System für das kontinuierliche Überfliegen von Küstenabschnitten und Flussmündungen entwickeln, um Veränderungen über die Zeit hinweg zu verfolgen. Hierfür greifen wir auf Flugzeuge zurück, die üblicherweise für die Erkennung von Ölverschmutzungen eingesetzt werden, entsprechend technisch ausgestattet und ohnehin schon in der Luft sind. Erste Feldversuche sind wir im November 2022 auf der Insel Spiekeroog geflogen“, erzählt Mattis Wolf, Wissenschaftler am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DKFI) und neben Dr. Tilman Floehr, Technikchef und Mitgründer der deutschen Organisation everwave, Teil des Projektkonsortiums.

Für die Erhebung der Bilddaten kommen bei PlasticObs_plus deshalb Flugzeuge zum Einsatz, weil sie eine hohe räumliche Auflösung und die damit notwendige Datenqualität besser gewährleisten können. Satellitenaufnahmen können zwar ein größeres Areal abbilden, erreichen aber nicht den gleichen Detailgrad. Und Drohnen wiederum sind nur sehr stationär einsetzbar, müssen regelmäßig geladen und erst noch mit zusätzlicher Hardware ausgestattet werden.

Für die Detektion, Klassifizierung und Quantifizierung der Kunststoffabfälle wird künstliche Intelligenz genutzt, für die das DFKI als Gesamtprojektleitung eigens einen Algorithmus zur Analyse der Bilddaten entwickelt. Abgesehen davon, dass die manuelle Auswertung von Daten sehr zeitaufwendig ist, zahlt sich das regelmäßige Training der KI-Modelle aus. So konnte das DKFI bereits in einer Untersuchung nachweisen, dass sich künstliche Intelligenz in der Fernerkundung lohnt. Bei der Unterscheidung zwischen Bildern mit und ohne Plastikmüll lag die Genauigkeit der KI-Methodik mit 93,3 Prozent sogar über der von Menschen händisch erstellten mit 92,6 Prozent. (2)

„Die Flugzeuge sind mit verschiedenen optischen Sensorsystemen ausgestattet. Nah-Infrarot kann beispielsweise dazu beitragen, aus der Entfernung den Unterschied zwischen Wasser und tatsächlichem Treibgut zu erkennen, da sich in diesem Spektralkanal die Absorptionscharakteristik für Wasser maßgeblich unterscheidet“, erklärt Wolf. Nachdem in einem ersten Schritt mittels eines Sensors mit einem breiten Öffnungswinkel und geringerer Auflösung zunächst potenzielle Müllteppiche durch die KI-Analyse ermittelt wurden, wird anschließend mit einem zweiten Sensor in die entsprechenden Hotspots hineingezoomt. „Die hochauflösenden Bilddaten werden dann durch ein weiteres KI-System ausgewertet. Diese Informationen geben Auskunft über die Art, Menge und Zusammensetzung des Plastikmülls. Sie sind für die anschließenden Clean-ups zur Entfernung der Abfälle besonders wichtig“, so Wolf zur Datenverarbeitung.

Everwave kann dann vor Ort tätig werden, zum Beispiel mit den eigenen Abfallsammelbooten als Teil der von der Organisation eingesetzten Clean-up-Technologien. Floehr ist von der Zusammenarbeit mit dem DFKI und dem Mehrwert der Daten überzeugt: „Perspektivisch ein System zur Verfügung zu haben, das so großflächig arbeitet, vermittelt uns ein besseres Verständnis darüber, wo und wann wir tätig werden müssen. Und es gibt uns natürlich mehr Planungssicherheit, da wir vorab genau abschätzen können, welche Logistik wir für unsere Boote und den gesammelten Abfall benötigen. Das spart nicht nur Zeit, sondern vor allem auch Kosten. Gleichzeitig können wir durch die Auswertung des von uns gesammelten Materials dem DFKI gegenüber validieren und verifizieren, ob die KI-Analyse richtiglag, was wiederum die Aussagekraft des Systems stärkt.“

Gemeinsame Standards für mehr Aussagekraft

Projekte wie PlasticObs_plus sind vielversprechend, wenn es darum geht, lokalen Umweltprojekten, Regierungen oder Behörden Informationen über die Verbreitungswege, Quellen und Akkumulationsgebiete bereitzustellen, die für die Ableitung und Implementierung von Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung beziehungsweise Eintragung von Abfällen in die Umwelt nötig sind. „In Verbindung mit Wetterdaten oder Angaben zu Fließgeschwindigkeiten von Gewässern können Eintrittspfade identifiziert sowie Vorhersagen über die räumliche und zeitliche Verteilung von Plastik gegeben oder saisonale Unterschiede beobachtet werden. Auch zur Überwachung von Verboten würde die Methodik nützlich sein, indem ein regelmäßiges Monitoring Auskunft darüber geben würde, ob beispielsweise nach der Einführung eines Plastiktütenverbots tatsächlich auch weniger Tüten als vorher im Wasser schwimmen“, schildert Floehr einige der Einsatzmöglichkeiten.

Um die Einsatzmöglichkeiten und generierten Daten aus Fernerkundungsmethoden für das Monitoring von Kunststoffen in der Umwelt bestmöglich überregional nutzbar zu machen, mahnt Floehr die aus seiner Sicht zwingende Vereinheitlichung von Methoden an: „Experten aus Wissenschaft, Industrie, Zivilgesellschaft, staatlichen Stellen und Luft- und Raumfahrt müssen viel enger miteinander kooperieren, um Mindeststandards für eine bessere Vergleichbarkeit von Daten zu schaffen. Denn ohne eine Vergleichsgrundlage sind die Daten nicht so viel wert, wie sie es eigentlich sein könnten. Wenn wir dorthin kämen, könnte man Daten von Satelliten mit denen von Drohnen oder von Flugzeugen und sogar mit denen von Handys vergleichen und würde so eine viel größere Aussagekraft erzielen.”

Dass dies bisher noch eine der größten Herausforderungen darstellt, bestätigte zuletzt auch die Studie „Advances in Remote Sensing of Plastic Waste“ der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und beklagt zugleich den Umstand, dass bei Forschungsprojekten und Untersuchungen oft sehr unterschiedliche Metriken zur Erkennung, Klassifizierung und Quantifizierung von Abfällen zum Einsatz kommen. (3) „An der Interoperabilität unterschiedlicher Datenquellen arbeiten wir zum Beispiel bereits mit der PREVENT Waste Alliance“, erzählt Floehr in diesem Kontext.

Aufgrund der positiven Resonanz aus internationalen Projekten plädiert Wolf auch dafür, dass beispielsweise Algorithmen frei verfügbar gemacht werden (Open Source), damit bewährte Datenauswertungsmethoden möglichst breit Anwendung finden. Gleiches gilt für die Gewährleistung eines möglichst freien Zugangs zu den erhobenen Daten und den daraus gewonnenen Erkenntnissen. Denn nur so können sie ihren Zweck bestmöglich erfüllen: genutzt zu werden, um die Plastikkrise einzudämmen.

Alles im Blick 

2021 in Kooperation zwischen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Universität Leeds, dem Schweizer Wasserforschungsinstitut (Eawag) und der NGO Wasteware entwickelt, kam das Waste Flow Diagram (WFD) bereits bei über 100 Städten zum Einsatz, um Schätzungen über Abfallmengen zu erzielen, die in die Umwelt gelangen, und anhand von Szenarien das lokale Wastemanagement zu verbessern. (4)

Der datengesteuerte Ansatz des Tools dient insgesamt vier übergeordneten Zwecken: (5)

  • Schätzung der Mengen an Plastik, die in die Umwelt gelangt,
  • Konzeption von Abfallprojekten, insbesondere zur Vermeidung von Gewässerverschmutzung,
  • Überwachung der Wirksamkeit von Interventionen im Abfallmanagement,
  • Unterstützung bei der Entscheidungsfindung zur Planung bzw. Verbesserung der kommunalen Abfallwirtschaft.

Für die zugrunde liegende Materialflussanalyse wird auf Primär- und Sekundärdaten, Beobachtungen und Befragungen entlang der verschiedenen Ebenen der kommunalen Abfallwirtschaft zurückgegriffen: Abfallerzeugung, -sammlung, -transport, -verarbeitung und -entsorgung. (6)

Das WFD bildet im Ergebnis die Gesamtmenge an unkontrollierten Kunststoffabfällen, die unterschiedlichen Quellen und Lecks als Ursache für Eintragung von Abfällen in die Umwelt und den Endverbleib in der Umwelt ab. Zudem ermöglicht das Tool den Vergleich zwischen Kommunen und fördert somit den Wettbewerb zwischen Städten um ein verbessertes und damit umweltschützendes Abfallmanagement. (7)

Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Der Circularity Code

 

Fußnoten

(1) Vgl. Blume et al. (2023), S. 11

(2) Tholen et al. (2023), S. 7

(3) Vgl. Blume et al. (2023), S. 39

(4) Whiteman, Andrew et al. (2023), S. 6

(5) Waste Flow Diagram (o. J.)

(6) Whiteman et al. (2023), S. 6

(7) Ebd. S. 8

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Bildquelle Beitragsbild POLYPROBLEM Website: Foto von Ethan Rheams auf Unsplash