Kein Freibrief für ein „Weiter so!“

Die Erwartungen der Verbraucher an Unternehmen, Verantwortung für die Nachhaltigkeit ihrer Produkte zu übernehmen, ist gestiegen. Während große Konzerne unter diesem Kundendruck teils mühevoll in ihre sozial-ökologische Transformation investieren, suchen junge Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil von vornherein in sozial verantwortlichen und ökologischen Geschäftsmodellen. Sie sind es auch, die in der Mehrheit von Kompensationsangeboten Gebrauch machen und damit werben, plastikneutrale Unternehmen zu sein oder plastikneutrale Produkte zu führen. (1)

Ein Familienunternehmen, das sich vor allem getrieben durch die Geschäftsleitung schon vor langer Zeit dem ökologischen Handeln verschrieben hat, ist Schaebens. Das im nordrhein-westfälischen Frechen ansässige Unternehmen, das vor allem als Gesichtsmaskenhersteller vielen aus der Drogerie bekannt sein dürfte, setzt in Kooperation mit Plastic Bank selbst auf Plastik-Kompensation im Rahmen seiner Klimaschutzstrategie, zu der insgesamt acht Ziele im Bereich Plastik und Verpackung zählen. (2)

Neben der Plastikneutralität durch die Sammlung der jährlichen Gesamtmenge des von Schaebens in den Markt gebrachten Kunststoffs aus der Umwelt, gehört dazu auch eine Analyse der Recyclingfähigkeit von Verpackungen. Außerdem will das Unternehmen seine Recyclingquoten durch die Umstellung auf Monoverpackungen bei immer mehr Produkten erhöhen sowie den Rezyklatanteil in Verpackungen steigern.

„Wenn man das Thema Nachhaltigkeit wirklich strategisch angehen will, sind zwei, drei Jahre nichts. Dabei sollten Kompensationsmaßnahmen immer bloß als komplementäre oder Übergangslösung zur Reduktion des Plastik-Fußabdrucks betrachtet werden und nicht als Freibrief für ein Weitermachen wie bisher“, mahnt Björn Hünemeyer, Leiter der Marketingkommunikation von Schaebens.

Teil einer ganzheitlichen Plastik-Reduktionsstrategie sind idealerweise entsprechende Maßnahmen:

1. Verzicht auf den Einsatz problematischer oder unnötiger Kunststoffverpackungen

2. Umstellung von Einweg- auf Mehrwegangebote, wenn angebracht

3. 100-prozentige Wiederverwendbarkeit, Recycling oder Kompostierfähigkeit der Kunststoffverpackungen

4. Festlegung eines ambitionierten Ziels für den Einsatz von Rezyklat in Kunststoffverpackungen

Selbst die ambitioniertesten Unternehmen, die anhand eines solchen Maßnahmenkatalogs ihren Plastik-Fußabdruck innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette maximal reduzieren wollen, dürften früher oder später vor zusätzlichen Herausforderungen stehen. „Uns ist die Kompensation wichtig, weil wir nicht auf Kunststoff als Verpackungsmaterial verzichten können. Würden wir dies tun, wäre das aus wirtschaftlicher und aus ökologischer Sicht nicht sinnvoll, weil die Alternativen bisher einfach nicht gut oder sinnvoll genug sind“, erläutert Hünemeyer.

Viele Unternehmen entscheiden sich angesichts dieses Handlungsdrucks zunächst für die Finanzierung von Recycling- oder Sammelkapazitäten durch Kompensationsangebote direkt vor Ort. (3) Dies bietet sich insbesondere für Unternehmen an, die einen Absatzmarkt in Regionen mit besonders hoher Kunststoffverschmutzung bedienen, dort aber aufgrund der lokalen Gegebenheiten über keine eigenen Sammel- bzw. Recycling- oder Rücknahmesysteme verfügen. (4) Inwieweit dieses Handeln einer Verantwortung für den Umweltschutz oder Marketinginteressen folgt, ist bisher schwer ersichtlich. (5) Bisweilen spielen beide Motivationen auch zusammen.

Der World Wide Fund for Nature (WWF) jedenfalls ruft zur Vorsicht im Umgang mit dem Begriff „Plastikneutral“ auf, da zum einen bisher noch keine einheitliche Definition für den Begriff existiert und zum anderen Konsumenten getäuscht werden könnten. (6) Auch Hünemeyer weist darauf hin: „Auch wir haben erkannt, dass wir uns in der Kommunikation anders positionieren und nicht per se sagen wollen ‚Wir sind plastikneutral‘. Das könnte zu Verwirrungen führen, weil wir eigentlich nur durch die Zusammenarbeit mit der Plastic Bank plastikneutral sind, unsere Verpackungen aber oftmals weiterhin Plastik enthalten.“

Darüber hinaus fordert der WWF im Interesse der Transparenz, dass Angaben zu Kompensationsmaßnahmen auch Informationen über die Region enthalten sollten, in der das Plastik aus der Umwelt gesammelt wird, und darüber, um welche Art von Plastikmüll es sich handelt. (7) Denn häufig werden Sammel- und Recyclingprojekte in Regionen finanziert, die nicht mit den Gegenden übereinstimmen, in denen die Auswirkungen der Kunststoffverschmutzung durch das jeweilige Unternehmen am größten sind. Oder aber es werden andere Kunststoffabfälle gesammelt als die, für deren Eintrag in die Umwelt die Unternehmen verantwortlich sind. (8)

Mit der Menge kommen die Risiken

Insbesondere die großen Mengen an Kunststoffabfällen, die die großen Plastikproduzenten sammeln oder recyceln lassen müssten, um ihren gesamten Fußabdruck auszugleichen, stellen eine Herausforderung dar. Im Zuge dessen befürchten Experten, dass große Unternehmen sich den unregulierten Markt zunutze machen, um die Preise für Plastic Credits nach unten zu drücken, indem sie nur fünf oder zehn Prozent des aktuellen Preises zu zahlen bereit sind. (9) Diese Entwicklung hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit des gesamten Kompensationsmarktes und den sozialen Mehrwert vieler Projekte.

Setzt man die durchschnittliche Sammelkapazität von rund 5.410 Tonnen pro Projekt der mehr als 100 gelisteten Projekte aus dem Register von Circular Action Hub49 (Stand Oktober 2022) ins Verhältnis zu den drei Millionen Tonnen Plastik, die allein Coca-Cola jährlich produziert (10), wird schnell ein Missverhältnis deutlich. Sofern Unternehmen denn wirklich gewillt sind, das notwendige Geld in die Hand zu nehmen, um solche großen Mengen zu kompensieren, müssen sie dafür mit Tausenden Projektanbietern zusammenarbeiten. Führt man die Kalkulation fort, wären für Coca-Cola circa 555 Projektpartner notwendig, um den gesamten jährlichen Plastik-Fußabdruck zu kompensieren. (11)

Aus dieser Beispielrechnung wird deutlich, dass echte Plastikneutralität über Kompensationsmaßnahmen selbst beim besten Willen kaum erreichbar ist.

Mit der Anzahl an Kooperationsprojekten steigt aber auch das Compliance-Risiko mit Blick auf die Gewährleistung der Einhaltung sozialer und ökologischer Standards. An dieser Stelle kommen dann nicht selten wieder die Makler ins Spiel, die im Idealfall die Projekte in ihrem Portfolio auf die Einhaltung allgemeingültiger Standards und Grundsätze hin überprüft haben. Oder aber die Projekte lassen sich eigenständig für bestimmte Standards zertifizieren und können somit auf einen Wettbewerbsvorteil hoffen. Trotz Prüf- und Zertifizierungsmechanismen ist oftmals Vertrauen jedoch das Einzige, was vielen Unternehmen bleibt.

Das konstatiert auch Schaebens-Manager Hünemeyer: „Man muss zugeben, dass der Markt sehr undurchsichtig ist und vieles vom Vertrauen der Käufer abhängt. Das liegt daran, dass es schwer ist, von hier aus zu überprüfen, was vor Ort passiert. Natürlich bekommt man Zertifikate, Bilder, Informationen, Zahlen und Geschichten von den Projektanbietern. Aber ohne Vertrauen geht es einfach nicht.“

Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Kauf Dich frei

 

Fußnoten

(1) Aussagen aus dem Interview mit Joel Tasche, CleanHub und Vincent Decap, ZPO

(2) Schaebens (o.J.)

(3) Zinnes (de Risi) (2021)

(4) Ebd. 44 Break Free From Plastic (2021)

(5) WWF (2021)

(6) Ebd.

(7) Dies gilt z.B. für Unternehmen, die flexible Kunststoffverbunde (Folien) verwenden, die meist schwer zu sammeln und kaum zu recyceln sind, dann aber ihren Plastik-Fußabdruck z.B. durch Kompensationsmaßnahmen im Bereich des Recyclings kompensieren.

(8) Interviewaussage Vincent Decap, ZPO

(9) Circular Action Hub (o.J.) (3)

(10) The Guardian (2019)

(11) Rechnung: 3 Mio. Tonnen / 5.410 Tonnen (durchschnittliche Sammelkapazität pro Projekt bei Circular Action Hub) = 555

 

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