Kein Spiel ohne Regeln
Wer Plastic Credits kauft, soll genau wissen, was er damit finanziert: Welches Material wird gesammelt? Wie wird es verwertet? Unter welchen sozialen, ethischen und ökologischen Bedingungen geschieht die Arbeit vor Ort? Mit dem Ziel, nachvollziehbare Qualitätsstandards zu diesen Fragen einzuführen, sind eine Handvoll Organisationen angetreten. Wir werfen einen Blick auf die drei wichtigsten Vertreter am Plastic Credit Markt.
In der Absicht, eine dauerhafte Glaubwürdigkeit des Kompensationsmarktes für Kunststoff sicherzustellen, haben einige Organisationen eigene Qualitätsanforderungen entwickelt. Damit haben sie sich selbst beauftragt. Die so entstandenen Standards haben keine rechtliche Verbindlichkeit.
Und sie spiegeln in ihrer Vielfalt nicht nur die Komplexität von Kunststoffen und die unterschiedlichen Plastikabfallvorkommen wider, sondern sorgen auch aufgrund aufwändiger Zertifizierungsprozesse oftmals für einen enormen bürokratischen Aufwand bei den Betreibern von Projekten – vom finanziellen Mehraufwand ganz zu schweigen. (1)
So wichtig hohe Qualitätsstandards auf ökologischer und sozialer Ebene sind, sie bergen in ihrer Rigorosität immer auch die Gefahr, Ausschlussmechanismen zu schaffen, wo sie am wenigsten angebracht sind. Projektbetreiber, die unter schwierigen Bedingungen mit lokalen Abfallsammlern zusammenarbeiten, stoßen mit gut gemeinten sozial-ökologischen Standards oft an die Grenzen der Realität.
Die großen Drei
Bisher konnten sich vor allem drei gemeinnützige Akteure als Standardisierer etablieren: Verra aus den USA, Zero Plastic Oceans (ZPO) aus Frankreich und das Netzwerk BVRio mit Sitz in Brasilien.
Sie setzen sich vor allem durch verschiedene Schwerpunkte und Herangehensweisen an die Zertifizierung voneinander ab. (2) Loek Verwijst, stellvertretender Geschäftsführer der unabhängigen Zertifizierungsstelle Control Union Certifications Germany GmbH, hat dennoch Hoffnung, dass Vereinheitlichungen durch Gesetzgeber – beispielsweise auf Ebene der Europäischen Union – erzwungen werden können. „Was im CO₂-Markt durch das Pariser Abkommen passiert ist, könnte auch im Plastikbereich folgen. Die Standards würden hier zwar unterschiedlich bleiben, aber müssten ein Mindestmaß an Anforderungen erfüllen“, glaubt Verwijst.
Die Garantien der Standards
Die Zertifizierer, die als externe Kontrollstellen über die Einhaltung der Standards im Hinblick auf faire Arbeitsbedingungen und Umweltschutz bei den Projekten wachen, stoßen immer wieder an Grenzen. Das liegt vor allem daran, sich die Projekte oft rasch entwickeln und vergrößern, sodass sich die Bedingungen oftmals schon innerhalb eines einjährigen Zertifizierungszyklus’ stark verändern können. (3)
„Bei einem angekündigten Audit-Besuch, können die Projekte natürlich immer eine vorbildhafte Arbeitsweise präsentieren. Was die nächsten 364 Tage im Jahr dann tatsächlich auf dem Gelände passiert, bleibt in der Verantwortung der Projekte. Wir können erst bei dem nächsten Audit nach zwölf Monaten feststellen, ob die Arbeitsweise richtig implementiert wurde“, weiß Auditor Loek Verwijst. Er weist allerdings auch auf die Risiken zu strenger Anforderungen hin: „Die informelle Abfallsammlung stellt in vielen Projektregionen die einzige Ernährungsgrundlage für viele Menschen dar. Bei der Entwicklung neuer Standards ist es nicht immer leicht, den informellen Sektor entsprechend zu berücksichtigen und ihn dabei nicht von zertifizierten Lieferketten auszuschließen.“
Kosten und Nutzen
Gerade kleinere Sammel- und Recyclingprojekte können sich die Zertifizierungskosten oft nicht leisten. Vielfach handelt es sich um Start-ups oder um junge Umweltinitiativen. Für sie zählt jeder Cent.
Lösungen bieten Konzepte, die mehreren kleinen Organisationen die Möglichkeit geben, sich gemeinsam überprüfen zu lassen. (4) Alternative Möglichkeiten bieten auch andere Akteure, die Nutzen aus neuen Technologien ziehen und dadurch den Arbeits- und Kostenaufwand um ein Vielfaches verringern wollen. Beispiele sind das norwegische Unternehmen Empower (5) oder das deutsche Startup CleanHub, die den Projekten durch Blockchain-Technologie die Dokumentation erleichtern wollen. So soll ein einfacher und kostengünstiger Nachweis erbracht werden, dass mit dem eingesetzten Geld am anderen Ende der Welt auch tatsächlich die versprochene Menge Kunststoff aus der Umwelt entfernt wird.
Die drei Organisationen im Profil
Verra
Verras Plastic Waste Reduction Standard (PWRS) ermöglicht die Vergabe von Plastic Credits für die Sammlung (Waste Collection Credits (WCCs)) sowie für das Recycling (Waste Recycling Credits (WRCs)) von Plastik. (6) Verra legt großen Wert auf die Feststellung der Zusätzlichkeit der Projekte. Ein PWRS-Credit entspricht einer Tonne gesammelten Kunststoffabfalls.
Zero Plastic Oceans
Der von Zero Plastic Oceans (ZPO) entwickelte Ocean Bound Plastic (OBP) Standard legt den Fokus auf Plastik, das sich bereits in unmittelbarer Nähe zu Gewässern und somit kurz vor dem unweigerlichen Eintritt in Flüsse und Meere befindet. (7) Der Standard spaltet sich in zwei Teilprogramme. Die OBP-Recycling-Zertifizierung betrifft Akteure in der Recycling-Wertschöpfungskette, die kommerziell recycelbares Plastik verarbeiten. OBP Credits werden allerdings nur durch eine Zertifizierung mit dem zweiten, dem OBP Neutrality Programm, generiert. Hierbei wird ausschließlich die Sammlung von Kunststoff zertifiziert, der nicht kommerziell recycelbar ist und somit normalerweise nicht gesammelt würde. (8) Neben der Services Provider Zertifizierung bietet die Organisation außerdem die Zertifizierung für (Plastik-)Produzenten und andere Käufer der Credits an, um deren Kompensationsaktivitäten offiziell zu bestätigen. (9) Ein OBP Credit entspricht einem Kilogramm Plastik.
BVRio
Im Rahmen des Circular Credit Mechanism (CCM) entwickelte BVRio den Circular Credits Standard (CCS), der vor allem Rahmenbedingungen und Leitlinien zur Einhaltung und Unterstützung von Projekten zu den folgenden sieben Themenfeldern zur Verfügung stellt: Zusätzlichkeit, keine Doppelzählung, Nachvollziehbarkeit, kein Trittbrettfahren, faire Vergütung, keinen Schaden anrichten, Learning by Doing. (10) Ein Circular Credit wird für die Sammlung und adäquate Verwertung einer Tonne Plastik vergeben. Der Standard wird unter anderem Projekten zur Verfügung gestellt, die auf der von BVRio ins Leben gerufenen Makler-Plattform Circular Action Hub ihre Circular Credits zum Verkauf anbieten. (11)
Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Kauf Dich frei
Fußnoten
(1) Dieser Eindruck entstand während einer Reihe von Interviews von POLYPROBLEM mit Akteuren, die im Plastik-Offsetting aktiv sind.
(2) Interviewaussage Vincent Decap, ZPO und Loek Verwijst, Control Union Certifications Germany GmbH
(3) Interviewaussage Vincent Decap, ZPO
(4) Interviewaussage Vincent Decap, ZPO
(5) Empower wurde auch in Gesprächen mit Standardisierern und Projekten als interessantes Konzept genannt.
(6) Verra (o.J.)
(7) Zero Plastic Oceans (o.J.) (1)
(8) Zero Plastic Oceans (o.J.) (2)
(9) Zero Plastic Oceans (o.J.) (3)
(10) BVRio (o.J.) (1)
(11) BVRio (o.J.) (2)