„Kontrolle ist gut, Vertrauen wichtiger.“
Im POLYPROBLEM-Interview spricht Stuart Lendrum, Leiter der Abteilung Verpackung, Qualität und Lebensmittelsicherheit bei Iceland Foods, über Corporate Activism und die Bedeutung der Führungsebene als Treiber für Maßnahmen zur Kunststoffreduzierung sowie über Reputationsrisiken und das notwendige Vertrauen in Kooperationspartner bei Kompensationsmaßnahmen.
Ende 2021 sorgte die britische Supermarktkette Iceland Foods für Schlagzeilen in der Welt des Kompensationsmarktes. In Zusammenarbeit mit der Clean-up-Organisation Seven Clean Seas will das in zweiter Generation familiengeführte Lebensmittelunternehmen der erste plastikneutrale Supermarkt werden. Für die Sammlung und das Recycling des rund 9.500 Tonnen großen Plastik-Fußabdrucks der Iceland-Eigenmarken wird Seven Clean Seas eigens ein projektübergreifendes und globales Programm auf die Beine stellen.
Iceland Foods möchte der erste Supermarkt in Großbritannien werden, der den verbleibenden Kunststoff-Fußabdruck für seine eigenen Produkte kompensiert. Wie ist das Commitment in eine ganzheitliche Strategie zur Vermeidung von Kunststoffabfällen eingebettet?
Das Commitment, unsere eigenen Produkte bis 2023 plastikfrei zu machen, sind wir 2018 eingegangen. Das ist auch unser übergeordnetes Ziel, um das herum sich eine ganzheitliche Strategie entwickelt. Die größte Herausforderung, an der wir arbeiten, besteht darin, die Menge der von uns verwendeten Kunststoffe grundlegend zu reduzieren. Je besser wir in diesem Bereich abschneiden, desto geringer wird unser verbleibender Fußabdruck sein. Das ist nicht nur besser für die Umwelt, sondern macht auch wirtschaftlich Sinn. Es liegt in unserem eigenen Interesse, diese Investition so gering wie möglich zu halten. Außerdem sind wir der Meinung, dass man zuerst so viel wie möglich reduzieren muss, um den verbleibenden Fußabdruck glaubwürdig zu kompensieren.
Lassen Sie uns einen Schritt zurückgehen. Was waren Ihrer Meinung nach die ausschlaggebenden Faktoren, die zu diesem Commitment geführt haben?
Unser Commitment entstand vor dem Hintergrund des COP26. Wir wollten einen Schritt weitergehen als bisher, denn wir sind uns bewusst, dass wir bereits viel Plastik in die Umwelt gebracht haben. Schlussendlich dazu geführt hat eine Kombination aus verschiedenen Dingen. Zunächst spielte unser CEO Richard Walker, dem das Thema sehr am Herzen liegt, eine entscheidende Rolle. Die Tatsache, dass wir ein privates Unternehmen sind, war ebenfalls wichtig. Das gibt uns die Freiheit, solche mutigen Entscheidungen zu treffen, ohne den Interessen der Aktionäre gerecht werden zu müssen. Wir wussten, dass der Markt für die Kompensation von Kunststoffen noch in den Kinderschuhen steckt und zudem ein umstrittener Bereich ist. Aber all das war kein Grund, es nicht zu tun. Wir hoffen mit unserem Commitment nicht nur unsere eigenen Ziele zu erreichen, sondern auch einen Beitrag zur Etablierung des Marktes, seiner Funktionsweise und den Best-Practice-Ansätzen zu leisten. Denn wir machen das in einer Größenordnung, die er bisher nicht gab.
Sie haben Seven Clean Seas erwähnt. Können Sie uns von der Suche nach dem richtigen Partner berichten?
Zunächst haben wir recherchiert und festgestellt, dass der Markt ziemlich klein ist. Unsere Recherche wurde von zwei Prinzipien geleitet: Erstens wollten wir eine Lösung finden, die die Investitionen in einem beherrschbaren Rahmen hält. Deshalb haben wir uns schon früh dazu entschieden, ausschließlich mit einem Partner zusammenzuarbeiten. Wir sind der Meinung, dass wir so die besten Chancen haben, langfristige, skalierbare Projekte zu realisieren und gleichzeitig die Kosten im Auge zu behalten. Zweitens: Da wir uns in einen neuen Bereich begeben und versuchen, etwas in einem ganz anderen Maßstab zu tun, kommt es meiner Meinung nach wirklich darauf an, die richtigen Leute für die Zusammenarbeit auszuwählen. Was die Werte betrifft, so haben Seven Clean Seas und Iceland Foods Ltd gut zusammengepasst.
Von welcher Größenordnung sprechen wir genau?
Die primären Kunststoffverpackungen für Iceland Foods Ltd belaufen sich auf etwa 10.000 Tonnen. Das ist die Menge, an der wir mit Seven Clean Seas arbeiten. Zum Vergleich: Die primären Kunststoffverpackungen für die von uns verkauften Markenprodukte belaufen sich auf etwa 19.000 Tonnen.
Könnten Sie etwas näher auf die Art der Projekte eingehen, die Seven Clean Seas in Angriff nehmen wird?
Wir befinden uns noch in der Anfangsphase, aber bei der Menge an Plastik, mit der wir es zu tun haben, werden Beach-Clean-Ups sicher nicht ausreichen. Die Projekte, die wir durchführen wollen, werden daher darauf abzielen, Infrastrukturlücken in Gebieten zu schließen, in denen es keine Abfallinfrastruktur gibt. So wollen wir dazu beitragen, Abfälle zu recyceln und wiederzuverwerten.
Zu guter Letzt: Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach der Markt für die Kompensation von Plastikabfällen bei der Beendigung der Plastikmüllkrise?
Für das Plastik, das bereits im Umlauf ist, sind wir alle verantwortlich. Es reicht nicht aus, zu sagen: Wir haben unseren Beitrag geleistet, unser gesamtes Plastik ist recycelbar. Die Unternehmen müssen mehr Verantwortung übernehmen. Für CO₂ gibt es einen etablierten Markt und einen Preis. Jeder weiß, was gute und weniger gute Emissionszertifikate kosten. Auf dem Markt für die Kompensation von Kunststoffen gibt es so etwas nicht. Ich denke, dass dies ein ernsthaftes Hindernis für den Markteintritt darstellt. In Zukunft wird die Schaffung von Transparenz daher von entscheidender Bedeutung sein. Ich glaube, dass der Kompensationsmarkt eine Rolle bei der Beendigung der Plastikmüllkrise spielen kann. Gleichzeitig gibt es Maßnahmen auf regulatorischer oder politischer Ebene, die ergriffen werden müssen. Ich glaube zum Beispiel, dass Anreize für Investitionen in die Rückgewinnung und das Recycling von Kunststoffen, nicht nur in Großbritannien, sondern insbesondere in Entwicklungsländern, ein Schritt in die richtige Richtung sein könnten.
Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Kauf Dich frei