„Ohne Mindestanforderungen geht es nicht.“

Im POLYPROBLEM-Interview schildert Vincent Decap, Mitgründer von Zero Plastic Oceans, warum sich der Plastic-Credit-Markt zwingend weg von einem Multiversum hin zu mehr Einheitlichkeit für die Sicherstellung seiner dauerhaften Kredibilität bewegen muss.

Welches Ziel verfolgt das OBP-Programm, und welche Rolle spielt Ihre Organisation auf dem Plastik-Kompensationsmarkt?

Die Zertifizierung dient als Garantie für Investoren, die Abfallsammelprojekte finanzieren und sich dabei auf unseren Standard verlassen wollen, um die Seriosität und ordnungsgemäße Durchführung der Projekte zu bestätigen. Um unseren Standard verwenden zu dürfen, müssen in erster Linie zwei Hauptkriterien erfüllt werden: Zum einen muss das gesammelte Material unmittelbar in der Nähe von Gewässern rumgelegen haben, um als Ocean Bound zu gelten. Und zum anderen muss sichergestellt werden, dass nur Material für die Erstellung der Plastic Credits berücksichtigt wird, das bisher nicht kommerziell recycelt werden kann.

Unser Ziel ist es also, einen neuen Markt zu schaffen, indem wir Kunststoff-Materialien einen Wert geben, die bisher keinen hatten. Dieses Vorgehen verringert nicht nur die negativen Auswirkungen auf die Umwelt, sondern trägt auch zu höheren Löhnen für die Abfallsammler bei und leistet somit einen zusätzlichen sozialen Beitrag.

Warum boomt der Markt für die Kompensation von Kunststoffen derzeit?

Ich weiß nicht, ob der Markt tatsächlich schon boomt, aber wir beobachten ein zunehmendes Interesse sowohl bei Privatpersonen als auch bei Unternehmen, welche die Idee der Plastic Credits verstehen und in das Konzept investieren wollen. Das Bewusstsein für die Plastikverschmutzung
in der Umwelt hat zugenommen und ist für viele Menschen zu einem sehr wichtigen Thema geworden. Allerdings ist der Markt noch sehr jung, und die von ihm umgesetzten Materialmengen sind im Verhältnis zum Ausmaß der globalen Plastikverschmutzung noch gering.

Wer sind die Hauptinteressenten für den Kauf von Plastic Credits? Gibt es bestimmte Gemeinsamkeiten zwischen den Käufern?

In der Regel handelt es sich bei den derzeitigen Käufern um sogenannte Purpose-Unternehmen, deren Geschäftsmodell sich bereits verstärkt an ethischen und ökologischen Grundsätzen orientiert. Einige große Unternehmen hingegen scheinen sich dem Markt mit schlichtweg unrealistischen Erwartungen in Bezug auf die Preismodelle anschließen zu wollen.

Wenn sie beabsichtigen, Plastic Credits zu einem Bruchteil der Kosten zu erwerben, die für eine ethische und effektive Umsetzung der Kompensationsmaßnahmen erforderlich sind, werden sie zu einer der größten Bedrohungen für eine nachhaltige Entwicklung des Marktes. Andere Unternehmen wiederum scheinen die aktuelle Entwicklung des Marktes vorerst nur von außen zu beobachten, ohne sich bisher selbst daran beteiligen zu wollen.

Was die Kosten betrifft, so ist es natürlich immer möglich, diese zu senken, aber dies sollte nicht zulasten der ökologischen oder sozialen Wirkung geschehen. Daher müssen die Standardisierer die Integrität ihrer Programme sicherstellen.

Kann man die Konzepte von Kunststoff-Kompensationen mit denen von CO₂-Kompensationen vergleichen?

Nein, die Ansätze sind völlig unterschiedlich, aber die Menschen neigen dazu, ihr Verständnis des einen auf das andere zu übertragen. Eine Tonne aus der Umwelt entfernten Kunststoffs ist deutlich einfacher zu messen als eine Tonne CO₂. Andererseits sind die meisten CO₂- Credits ähnlich definiert, während jeder Plastic Credit individuell zusammengesetzt ist. Das liegt daran, dass die Standards für Plastic Credits eine Vielzahl von Kriterien berücksichtigen, von der Zusammensetzung des Materials bis hin zum Umfang der zu zertifizierenden Aktivitäten. Daher ist es von wesentlicher Bedeutung, die Visionen und Zielsetzungen der einzelnen Programme zu verstehen.

Führt dies nicht zu Problemen oder Unklarheiten?

Manchmal kann das der Fall sein, was vielleicht einer der Faktoren ist, die eine schnellere Verbreitung von Plastic Credits als Handelsware verhindern. Gleichzeitig kann dies aber auch als Chance begriffen werden: Die Konzepte sind so unterschiedlich, dass es schwierig sein dürfte, sie anzugleichen oder zu vereinen, aber sie alle verfolgen berechtigte und sinnvolle Zielsetzungen.

Dennoch muss ein Konsens darüber erzielt werden, wie ein Plastic Credit zu verwenden ist und welche Mindestanforderungen erfüllt sein müssen. Das Zusammenspiel und die Zusammenarbeit aller Akteure und Interessengruppen ist entscheidend. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Rolle von unternehmensübergreifenden Zusammenschlüssen wie der Alliance to End Plastic Waste hervorzuheben, deren Arbeit ich sehr schätze. Initiativen wie diese können wesentlich zur Festlegung und Verbreitung geeigneter Methodiken und Leitlinien beitragen, um zu definieren, was ein Plastic Credit ist, wie ökologische und soziale Effekte gemessen werden und wie Ansprüche geltend gemacht werden sollten.

Welche Entwicklungen erhoffen Sie sich zukünftig für den Markt, und worauf arbeiten Sie als Organisation hin?

Für uns sind Plastic-Credit-Programme nach wie vor eine Übergangslösung zur Bewältigung der immensen Plastikverschmutzung, der wir gegenwärtig weltweit gegenüberstehen. Sie finanzieren die Etablierung und die Verbesserung von Abfallmanagementsystemen und bieten kurzfristige Lösungsansätze, was im Moment enorm wichtig ist.

Wir bei Zero Plastic Oceans wären allerdings sehr glücklich, wenn wir uns eines Tages nicht mehr um dieses Problem kümmern müssten. Wir hoffen, dass das OBP-Programm mit der Zeit nicht mehr nötig sein wird.

Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Kauf Dich frei