Was Benedict Wermter vom Journalisten zum Bildungsstifter machte
Die Aufregung war groß in der Konsumgüterbranche und der Recyclingindustrie. Unter dem Titel „Die Recycling-Lüge“ hatte der Journalist Benedict Wermter 2022 einen Dokumentarfilm ins Fernsehen gebracht, der die gebrochenen Versprechen einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoffverpackungen gnadenlos demaskierte. Mittlerweile arbeitet Wermter in Indonesien – und hat eine ganz andere Zielgruppe im Visier: ganz normale Verbraucherinnen und Verbraucher. Und die packt er härter an, als es die gängige Lehrmeinung empfiehlt.
„Wir können uns aus der Plastikmüllkrise nicht rausrecyceln“, ist Benedict Wermter nach wie vor überzeugt. Seine Perspektive auf das Problem hat sich allerdings verändert. Er will nicht mehr bloß darüber recherchieren, schreiben und filmen, sondern selbst etwas unternehmen. Und zwar dort, wo er am meisten gebraucht wird. Er hat Deutschland verlassen und in Indonesien eine gemeinnützige Stiftung gegründet. Veritas Edukasi Lingkungan (VEL) heißt sie. Der Name lässt sich schlicht mit Veritas Umweltbildung übersetzen.
Binnen weniger Monate hat Wermter ein Team aufgebaut, das mit digitalen Kommunikationsformaten über die Konsequenzen von achtlos weggeworfenem Plastikmüll informiert und Alternativen aufzeigt. Die von der jungen Stiftung selbst entwickelte SampApp – Sampah ist das indonesische Wort für Müll – bietet auf spielerische Weise Anreize, Müll zu vermeiden und ihn zumindest nicht einfach vor dem Haus zu verbrennen.
Wermter hat sich nicht nur vom Journalisten zum Sozialunternehmer gewandelt. Auch sein Blick auf Ursachen und Verantwortlichkeiten hat sich verändert. „Früher habe ich bei der Lösung des Plastikmüllproblems fast allein die Industrie in der Pflicht gesehen. Heute glaube ich, dass es vor allem an uns Konsumenten liegt“, räumt Wermter ein und spricht damit einen sensiblen Punkt an: „Vor allem bei den NGOs ist es geradezu ein Mantra, bloß nicht die Verbraucher für das Problem zur Verantwortung zu ziehen. Das halte ich für überängstlich bis verlogen. Wir können nicht den mündigen Bürger feiern und ihn zugleich aus jeder Verantwortung heraushalten.“
Auch der scheinbar unumstößlichen Regel, dass allein positive Narrative wirken und Menschen bei Problemschilderungen im Zusammenhang mit ihrem eigenen Verhalten sofort dichtmachen, mag Benedict Wermter nicht folgen. Er sagt deutlich: „Ich ignoriere die Regeln, was man wie ansprechen darf. Man muss schädliche Verhaltensweisen auch mal moralisch sanktionieren.“ Damit widerspricht er den meisten anderen Experten – auch jenen, die in diesem Report zu Wort kommen.
Dabei ist es keineswegs so, dass die Stiftung VEL bei ihren digitalen Bildungsangeboten auf jegliche Taktik verzichten würde. Wermter hat etwa gelernt, dass es wichtig ist, an kulturelle Werte zu erinnern. „Indonesier haben einen sehr ausgeprägten Nationalstolz und einen starken Gemeinsinn. Also appellieren wir gezielt daran“, erklärt Wermter. Die simple Botschaft: Wer seinen Müll in den Fluss wirft, kann kein Patriot sein.
Das funktioniert nach seiner Beobachtung besser als allgemein angenommen. Man müsse die Leute nicht in Watte packen. Die stark steigenden Nutzerzahlen der SampApp und der Social-Media-Kanäle @bulesampah, die Wermter auf Instagram, TikTok und anderen Plattformen betreibt und denen zusammen eine halbe Million Indonesier folgen, scheinen diese These zu belegen.
Stiftungsgründer Wermter sieht in Umweltbildung und Verbraucheraufklärung jedenfalls einen stärkeren Hebel als in zusätzlichen staatlichen Regulierungen – zumindest, solange es an deren Vollzug hapert. „Hier in Indonesien ist es schon lange verboten, seinen Plastikmüll vor der Haustür zu verbrennen. Trotzdem werden ungefähr 30 Prozent des Abfalls genau auf diese Weise entsorgt“, berichtet er.
Natürlich zielt seine Stiftung auf Verhaltensänderung. Aber die – das weiß er aus seiner Erfahrung als Journalist – brauche eben nicht nur Wissen, sondern auch Betroffenheit. „Vor dem Behavior Change kommt der Change of Commitment“, sagt Benedict Wermter in seinem internationalen Duktus.
Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Die Kluft im Kopf