„Die Qualität ist ein größeres Problem als der Preis“

Der Riese hat sich viel vorgenommen. Rund 600.000 Tonnen Kunststoff lässt der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble (P&G) pro Jahr zu Verpackungen verarbeiten. Die Hälfte davon, also 300.000 Tonnen, soll spätestens im Jahr 2030 aus Post-Consumer-Rezyklat (PCR) bestehen oder eingespart werden. POLYPROBLEM sprach mit Nachhaltigkeits-Geschäftsführerin Gabriele Hässig über Chancen und Hürden, Innovation und Regulierung.

„Wir haben ehrgeizige Ziele. Daher begrüßen und wertschätzen wir den Beitrag aller Akteure entlang der Wertschöpfungskette. Unser gemeinsames Ziel ist es ja, Kunststoffe im großen Stil effizient im Kreis zu führen. Und das kann nur gemeinsam und mit partnerschaftlichen Ansätzen gelingen“, erklärt Gabriele Hässig, Geschäftsführerin Kommunikation und Nachhaltigkeit bei P&G. Damit meint sie die Sortierer und Recycler ebenso wie die Compoundierer und die Verarbeiter. Fakt ist: Die Nachfrage nach Material in hochwertiger Qualität wird in Zukunft weiter steigen. Aufgrund dessen lohnt es sich, in Innovation und in Prozesse, die die Wiederverwertung bis hin zur fertigen Verpackung aus Rezyklat verbessern, zu investieren.

Gabriele Hässig ist sich des bestehenden Spannungsfeldes bewusst: Auf der einen Seite Recycler, die über zu geringe Ansatzmöglichkeiten klagen und auf der anderen Seite die Konsumgüterindustrie, die befürchtet, nicht genügend geeignetes Post-Consumer-Rezyklat zu bekommen, um ihre Selbstverpflichtungen zu erfüllen.

„Innovation ist der Schlüssel, mit dem sich dieses Spannungsverhältnis auflösen lässt“, ist die Konzernmanagerin überzeugt und wird konkret: Derzeit wandert mehr als die Hälfte der im gelben Sack gesammelten Kunststoffabfälle in die Müllverbrennung. Würde man die Sortierbarkeit der gesammelten Plastikabfälle durch neue technische Verfahren verbessern und damit die verwertbare Menge deutlich steigern, würden sich auch positive Skaleneffekte bei den Recyclingunternehmen einstellen. Sie könnten günstiger produzieren, was den Kostennachteil von Rezyklaten gegenüber Virgin Ware zumindest teilweise ausgleichen würde.

Nach Auffassung von Gabriele Hässig sollte ihre Branche, die Konsumgüterindustrie, die dafür notwendigen Innnovationen aber nicht nur einfordern, sondern sich selbst aktiv an der Entwicklung beteiligen. Als Beispiel nennt sie das von ihrem Unternehmen initiierte Projekt „HolyGrail 2.0“, bei dem es mit vielen Partnern darum geht, unsichtbare Codes in Verpackungsmaterialien einzuarbeiten, die dann in den Sortieranlagen ausgelesen werden könnten.

Warum der ganze Aufwand? „Wir bekommen derzeit nicht die Mengen hochwertiger Rezyklate, die wir brauchen“, stellt Gabriele Hässig fest. Besonders in den für ihren Konzern wichtigen Bereichen Körperpflege und Beauty aber auch Haushaltsreinigern sei die Beschaffung von Verpackungslösungen aus Rezyklat schwierig. „Das muss sich ändern. Denn speziell bei Produkten, die in direktem Kontakt mit dem Körper gelangen, ist Sicherheit oberste Priorität. Und hier fehlt es bei den meisten Rezyklaten noch an klaren Definitionen für verschiedene Materialeigenschaften oder gesundheitsbezogene Grenzwerte, die Einkäufer nutzen können und die gleichtzeitig für Rechtssicherheit sorgen“, erläutert Hässig und plädiert für mehr Transparenz durch eine verbesserte Normierung. In diesem Bereich bringe sich die Konsumgüterindustrie bereits aktiv ein und arbeite in entsprechenden Arbeitsgruppen wie zum Beispiel Cospatox mit, dennoch sei eine Menge Arbeit zu erledigen.

Dass Procter & Gamble Innovation nicht nur fordert, sondern aktiv voranbringt, um die verfügbare Menge an hochwertigen und zugleich preislich konkurrenzfähigen Rezyklaten zu erhöhen, zeige auch das Beispiel PureCycle. Dabei handelt es sich um ein von P&G entwickeltes Verfahren, mit dem sich hochreines Polypropylen-Rezyklat herstellen lässt.

Verbesserte Stoffströme, mehr Transparenz bei den Produkteigenschaften, neue Verfahren: Das sind aus Sicht eines der größten internationalen Inverkehrbringers von verpackten Konsumgütern die drei wesentlichen Faktoren auf dem Weg zu einem funktionieren Markt für wiederverwerten und wiederverwertbaren Kunststoff.

Die oft geäußerte Skepsis, dass neu hergestellter Kunststoff aufgrund des niedrigen Erdölpreises für Großkonzerne wie Procter & Gamble immer attraktiver bleiben wird als Post-Consumer-Rezyklate, teilt Gabriele Hässig nicht. „Natürlich ist der Einsatz von Rezyklaten für unsere Branche zunächst eine finanzielle Herausforderung, aber P&G hat sich verpflichtet, den Einsatz von Virgin-Kunststoffen zu halbieren. Das steht nicht zur Debatte“, bekräftigt sie und führt aus. „Die Plastiksteuer für nicht recyceltes Plastik ist auf EU-Ebene beschlossen. Auch die CO2-Steuer kommt und wird Virgin-Material weiter verteuern. Diese beiden Lenkungsinstrumente zusammen werden wirken“, ist Gabriele Hässig sicher. Hinzu komme, dass die Verbrauchernachfrage nach nachhaltig gestalteten Produkten steige.

„Wir brauchen technische Verfahren, die große Mengen an Rezyklat in allen erforderlichen Qualitäten verlässlich ermöglichen. Das bereitet uns größere Sorgen als Preisargumente“, bringt Hässig ihre Position den Punkt.

Da überrascht es nicht, dass Gabriele Hässig von politisch verordneten Rezyklat-Einsatzquoten nicht viel hält. „Unterschätzen wir nicht die Marktkräfte“, sagt sie. „Wenn wir wollen, dass das System wirklich nachhaltig umgebaut wird, dann muss das zu marktwirtschaftlichen Bedingungen geschehen. Die gefundenen Lösungen müssen sich dauerhaft selbst tragen können.“ Regulatorische Maßnahmen können dabei einen gewissen Rahmen setzen, aber auf Dauer nicht den Markt ersetzen.

Also können die Staaten gar nichts für einem verstärkten Einsatz von wiederverwertetem Kunststoff tun? „Doch“, sagt Gabriele Hässig. „Der Staat kauft ja grade bei Infrastrukturprojekten viel ein und baut sehr viel. Hier als Nachfrager selbst mit gutem Beispiel voranzugehen, würde sicherlich einen wichtigen Impuls für weitere Fortschritte setzen.“

 

Gabriele Hässig ist Geschäftsführerin für Kommunikation und Nachhaltigkeit bei Procter & Gamble und verantwortet diese Themenbereiche in Deutschland, Österreich und der Schweiz.