Mehrweg und Unverpackt im konventionellen Einzelhandel
Mehrwegverpackungen haben im konventionellen Lebensmittel-Einzelhandel nach wie vor Seltenheitswert. Richtig etabliert und akzeptiert sind sie lediglich bei Getränken. Der Handelsriese REWE möchte das ändern und testet in seinen Läden, was geht. Zwischenfazit: Es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
„Unser Ziel ist es, Mehrweg-Angebote so zu gestalten, dass diese sowohl ökologisch vorteilhaft sind als auch preislich eine echte Alternative darstellen”, fasst Judith Maier zusammen. Sie ist Projektmanagerin Mehrweg im Team Climate & Circularity bei der REWE Group.
Das Unternehmen sieht durchaus Potenzial für Mehrweg-Lösungen im Einzelhandel, weiß aber auch um die Größe der Herausforderung. Einwegverpackungen haben sich über Jahrzehnte als Standard entwickelt. Ihre Produktion und Anwendung ist hoch skaliert und optimiert. „Mehrweg-Lösungen können ökonomisch nur mithalten, wenn sie von vielen Menschen genutzt werden. Kundenfreundlichkeit und Kundenakzeptanz spielen also eine entscheidende Rolle“, erklärt Judith Maier. Und: Neue Systeme müssten zusätzlich sowohl im Markt als auch an der Kasse und auf Transportwegen leicht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu nutzen sein.
Für REWE-Kunden sichtbares Engagement sind etwa ein nationales Mehrweg-Angebot an der To-go-Salatbar, um zubereitete Salate in der Mehrwegdose mitzunehmen, und ein zeitlich befristetes Pilotprojekt mit Abfüllstationen für unverpackte Lebensmittel. Unsichtbar für die Kundinnen und Kunden bemüht sich REWE schon seit Jahren um die Verringerung des Verpackungsmülls in der Lieferkette.
In mehr als 3.800 Märkten bietet der Handelskonzern seit Anfang 2023 Mehrwegbehälter für den Außer-Haus-Verzehr von zubereiteten Lebensmitteln an. Diese Mehrwegverpackungen können, ähnlich wie bei Pfandflaschen, in Automaten zurückgegeben werden. Außerdem handelt es sich um ein offenes, skalierbares System mit standardisierten Behältern, sodass diese prinzipiell anbieterübergreifend genutzt und zurückgegeben werden können. Denn Insellösungen behindern eine breite Mehrweg-Akzeptanz. Besser wäre eine Branchen- oder sogar Branchen-übergreifende Lösung. Hier sieht Judith Maier auch den Gesetzgeber in der Verantwortung. REWE selbst hat sich bereits 2022 in einem Positionspapier für standardisierte Mehrwegsysteme eingesetzt und führt derzeit mit der Deutschen Umwelthilfe in Berlin ein Pilotprojekt zum Thema durch.
Die Pilotierung von Unverpackt-Abfüllstationen in elf REWE-Märkten war ein weiterer Versuch, Verpackungsaufwand zu reduzieren. „Wir haben regional getestet, um in Erfahrung zu bringen, was für Kunden interessant, aber auch umsetzbar ist und inwiefern Nachhaltigkeitspotenziale und Wirtschaftlichkeit bestehen“, beschreibt Judith Maier.
Das Projekt sollte zwei positive Effekte miteinander verbinden: weniger Müll schon beim Lieferanten durch große Behälter in der Anlieferung und beim Kunden durch die Nutzung von Mehrwegverpackungen. Das Ergebnis: Zwar haben Kunden in Befragungen positiv reagiert und angekündigt, die Stationen nutzen zu wollen. Tatsächlich getan haben es viel zu wenige. Die Nutzungszahlen blieben niedrig – auch, nachdem die Pilotphase von sechs auf zwölf Monate verlängert worden war. Die Diskrepanz zwischen Absicht und Verhalten zeigt sich also auch in den Zahlen von REWE. „An dieser Stelle wird es für uns als Händler herausfordernd”, erläutert Judith Maier. „Wenn ein Unverpackt-Angebot kaum genutzt wird, verfehlt es wegen der zur Bereitstellung notwendigen Ressourcen auch das gewünschte Ziel in der Ökobilanz.”
An mangelnden Kommunikations-Maßnahmen, den Kundinnen und Kunden den unverpackten Einkauf schmackhaft zu machen, habe es nicht gelegen, ist sich Judith Maier sicher. REWE habe sowohl ökonomische Anreize in Form von Gutscheinen für Produkte aus den Abfüllstationen gesetzt als auch Mitarbeitende eingesetzt, die direkte Hilfestellung bei der Nutzung der Abfüllstationen anboten, die Funktionsweise erklärten und so die Berührungsängste mindern sollten.
Es bleibe ein Hindernis für Nutzerinnen und Nutzer, beim Einkauf den zusätzlichen Schritt zu planen, Behältnisse zum Abfüllen bereitzuhalten, berichtet Judith Maier. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, war es dem Kunden möglich, vor Ort Behältnisse gegen Pfand auszuleihen.
Zusätzlich nahmen Kundinnen und Kunden die Produkte aus den Abfüllstationen als teurer wahr, obwohl dort Eigenmarken von REWE angeboten wurden, die preisgleich zu den verpackten Produkten waren. Die Gründe dafür sind noch nicht klar – es könnte an der Wahrnehmung der Stationen als Nischenprodukt liegen, vielleicht aber auch an dem damit verbundenen Bio-Image.
Einen Grund zum Aufgeben sieht Judith Maier in den durchwachsenen Akzeptanzwerten nicht. „Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema, das langfristig von Relevanz bleiben wird“, betont sie. Allerdings sei eine viel intensivere Zusammenarbeit von Handel, Lieferanten, anderen Anbietern, Zivilgesellschaft, Politik und Verbraucherinnen und Verbrauchern nötig. Judith Maier bringt es auf den Punkt: „Die Verwirklichung standardisierter, kundenfreundlicher und ökologisch vorteilhafter Lösungen über Sortimente hinweg erfordert in den kommenden Jahren gemeinsames Handeln.“ – Niemand kann dieses Ziel allein erreichen.
Erschienen im POLYPROBLEM-Themenreport Die Kluft im Kopf
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